Montag, 19. November 2012

Wandertag am Fuße der Nandi Berge


Vier Stunden. Vier lange Stunden bin ich mit meinem Mann, dem Farmer, über seine Felder marschiert. In Gummistiefeln zwischen Zuckerrohr, Kühen und „Mzungu/Weiße“-schreienden Kindern und durch komplett überflutete Äcker hindurch. Unter der brütend heißen Sonne Afrikas. Danach wusste ich nicht mal mehr meinen Namen.

Es fing eigentlich ganz nett an. Joshua hatte mich gefragt, ob ich nicht mal wieder mitkommen möchte, er würde mir gerne zeigen, wie sich seine Anpflanzungen entwickelt haben. Warum nicht? Ich war erst einmal dabei, kriege sowieso nicht genug Bewegung zurzeit, wandern tu ich auch gern, und mal einen Tag mit dem Gatten bei der Arbeit unterwegs sein, ist doch schön. Hat ja die Monate bei humedica auch sehr viel Spaß gemacht. Und mit einem Bauern unterwegs sein ist allemal interessanter als, sagen wir, mit einem Ehemann einen Tag am Arbeitsplatz zu verbringen, der Geschäftsführer der Mercedes-Benz Bank ist und Board Meeting hat, oder? Ja, denk nochmal nach, Katja.

Wir sind gemütlich gestartet, so gegen 9:30 Uhr – also locker drei Stunden später, als Josh sonst los geht. Frau dankt und weiß es zu schätzen. Nach einer dreiviertel Stunde holpriger Fahrt haben wir das Auto abgestellt, weiter geht es nicht, und sind in die Gummistiefel gestiegen. Und losmarschiert, immer querfeldein. Wie Joshua sich da orientiert, ist mir schleierhaft. Aber er kennt seine Farmen, und hat mir geduldig erklärt, welches Stück Land von wem gepachtet ist, wie es heißt (wohlklingende und leicht zu merkende Namen wie Sila Matengo oder Nyanduru) und wie zufrieden er mit dem Wuchs von Zuckerrohr und Mais ist. Und weiter geht es in den Siebenmeilengummistiefeln, über Ackerfurchen und Unkraut hinweg. Und dann das Wasser in den Feldern! Wir sind mitten in der Regenzeit. Entweder die Felder haben Pech und sind krachtrocken, oder sie haben Pech und sind großflächig überflutet. Anfangs fand ich das Abenteuer „Flussüberquerung“ wirklich noch amüsant. Irgendwann dann nicht mehr so. Und irgendwann überhaupt rein gar nicht mehr, als mir nämlich die Brühe in die Stiefel geschwappt ist, so tief stand das Wasser. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass das erst in der letzten halben Stunde passiert ist.

Nein, das ist keine Chinesin im Reisfeld.
Kleine Verschnaufpause zwischendurch: Rast am Fischanleger. Wir sind ja ganz in der Nähe vom Viktoriasee, ein Zufluss führt direkt in das Gebiet, in dem unsere Farmen liegen. Da kommt ein Kanu nach dem anderen an, hauptsächlich mit „mud fish“ (ja, wie heißt der jetzt auf Deutsch? Drecksfisch?). Der schmeckt mir leider nicht so, und ich finde, er sieht auch nicht so lecker aus. Also habe ich mich mit einer Handvoll frisch gerösteter Erdnüsse gestärkt. Es war spannend, das Getümmel zu beobachten: Die Frauen, die versuchen einen guten Fisch für rund einen Euro zu erhaschen, der dann auf dem Markt wieder verkauft wird. Die Fischer, die ihre Netze in Ordnung bringen. Die „Fischbudenbesitzerin“, die den frischen Fisch auf einem kleinen Feuer direkt zubereitet.




Alles in allem war es schon beeindruckend, was da passiert ist auf den Feldern in den letzten zwei Monaten. Besser gesagt: Was Joshua da geleistet hat. Gute Äcker finden, pflügen, pflanzen, jäten, Viehhirten samt weidendem Vieh von dem frischen Grün vertreiben, Dämme bauen, Wasser pumpen  (lassen, man muss sich meist das „lassen“ dazu denken). Ich verstehe nun auch etwas besser, warum er oft so lange auf den Feldern ist. Und ziemlich müde, wenn er nach Hause kommt. Außerdem werde auch ich mal ein Buch schreiben können, das beginnt mit „Ich hatte eine Farm in Afrika, am Fuße der Nandi Berge“...

Manicure: Buchanfang steht
Helmet: Aus Stroh, mit breiter Krempe

Der Wanderführer vor einer der frisch gepflügten Farmen. Bei den bereits angewachsenen hatte ich leider keine Kraft mehr zum Fotografieren.

Samstag, 27. Oktober 2012

Ein besonderes Erbe


Vor ein paar Wochen ist in der Dorf-Nachbarschaft ein Cousin gestorben, Daniel, Ehemann und Vater von drei kleinen Kindern. Dan war ein ausgesprochen netter Mensch, sehr stark und fleißig, er hat uns bei unserem Lehmhausbau geholfen. Traurig, wie er von einem Tag auf den anderen wahrscheinlich wegen einer Lebensmittelvergiftung und mangelndem Bewusstsein, wie mit manchen Krankheiten umzugehen ist, gestorben ist.

Sein Tod war Anlass für Joshua und mich, wieder über Beerdigungen zu diskutieren. Ein Thema, das ich hier im Luo-Land schon immer sehr irritierend finde. Es fängt an mit der Organisation, die ist Großfamiliensache. Da kommen nach einem Todesfall gut und gerne 20 Mitglieder der erweiterten Familie in einem Komitee zusammen, das sich mindestens fünfmal trifft und mit allen alles diskutiert, vom Essen über die Stühle, Musiksystem, Transport der Leiche, bis zum Zeitpunkt der Beerdigung. Die engsten Angehörigen haben dabei nicht unbedingt mehr Mitspracherecht als alle anderen, vor allem, wenn sie selbst keine Finanzen haben, um die Beerdigung auszurichten. Es wird ein Vorsitzender bestimmt, ein Schriftführer und ein Schatzmeister. Thema Finanzen: Das Komitee legt fest, wer aus der Großfamilie wie viel zu bezahlen hat. Keine Widerrede, keine Ausflucht. Für Dan’s Beerdigung wurden von allen Männer 1.000 Schilling (etwa 9 Euro – viel Geld für die Leute) und von den Frauen 200 Schilling kassiert. Obendrauf wurden in dem Fall 2 kg Maismehl oder anderes Getreide fällig, zur Zubereitung des Leichenschmauses.

Zwischen Schuhen und Werkzeug kann man am Straßenrand Särge und Leichenhemden kaufen -  
- in allen Farben und Ausführungen, gerne mit Guckdeckel.

Zu einer Beerdigung reist Hinz und Kunz an. Leider ist mein Eindruck, von anderen (Kenianern) bestätigt, dass viele nur wegen dem kostenlosen fleischhaltigen Mittagessen kommen. Und vielleicht um der noch größeren Langeweile zuhause zu entfliehen. Die engeren Familienmitglieder bis zu Cousins und Leute aus der Kirchengemeinde halten sich bei Dauermusikgedudel in voller Lautstärke die letzten Tage und Nächte bis zur Beerdigung im Haus der Familie auf. Das soll den Trauernden helfen, ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Eigentlich ein netter Gedanke, ich weiß trotzdem nicht, ob ich das wollte.

Wie alles in Kenia dauert so eine Beerdigung. Unter sechs Stunden läuft gar nichts, die meisten Leute sitzen sehr viel länger. Zu viele fühlen sich berufen eine Rede zu halten, die dutzende bis hunderte Trauergäste müssen verpflegt werden, und dann gibt es ja auch noch die Beerdigungszeremonie an sich. Die ist aber verhältnismäßig schnell vorüber. Traditionell werden die Menschen auf ihrem Land bestattet, meistens irgendwo am seitlichen oder hinteren Rand des Grundstücks. Grabsteine gibt es in aller Regel nicht.

Das Grab wird auf dem Familiengelände von Angehörigen ausgehoben.
Ein frisches Grab - Geld für Blumenkränze hat man nicht übrig.

Das Grab von Joshua's Vater, direkt neben unserem Grundstück.

Als vor einem halben Jahr der jüngere Bruder von Dan im Fluss ertrank, haben wir einen Anruf erhalten. Es war klar: Wir müssen da jetzt hin, die Leiche auf unseren Pick-Up laden und ins Leichenhaus bringen. Es war Nacht, keiner außer uns in der Gegend hat ein Fahrzeug, und ein Taxi oder ähnliches zu organisieren hätte viel zu lange gedauert – und wer hätte das bezahlen wollen? Das Leichenhaus selbst hat kein Fahrzeug. Einen Bestatter, wie wir das kennen, gibt es aufm Dorf nicht (in der Stadt haben sie so passende Namen wie „Exodus“ oder „Montezuma“). Also sind wir eben los. Ich fand das seltsam bis unheimlich.

Noch eine Besonderheit: Bei den Luos werden die Ehefrauen „vererbt“. Ein Bruder oder sonstiger Verwandter heiratet die Witwe. Da Polygamie nach wie vor erlaubt ist (wenn auch in der jüngeren Generation nicht mehr üblich), ist es auch kein Problem, falls der Bruder schon eine Frau hat. Vor langer Zeit hatte das bestimmt mal einen sozial-ökonomischen Grund: Wie sonst sollten die Frau und Kinder versorgt werden? Heute ist das fragwürdig. Und wenn mir einer daherkommt – was durchaus passiert – dass er mich mal erben wollen würde, dem sage ich klipp und klar, dass das überhaupt nicht in Frage kommt und wenn, muss er sich hinten anstellen: Da waren schon andere vor ihm da. Eine Weiße ist wohl das begehrteste Erbe überhaupt. Wenn die Landeier wüssten, worauf sie sich da einlassen!

Manicure: Wissen, dass das Beste für uns sowieso nach dem Tod kommt
Helmet: Vererbt werden ist nicht

Montag, 24. September 2012

Da war noch was (Wichtiges)


Mit meinem letzten Blog-Eintrag habe ich einen großen zeitlichen Sprung gemacht, vom Juni in den September. Und habe mal eben sechs wundervolle Wochen in Deutschland ausgelassen. Das geht so nicht! Wenigstens ein paar Sätze will ich doch noch davon erzählen.

Da unser humedica-Job Ende Juli planmäßig nach zwölf Monaten aufgehört hat, haben Josh und ich beschlossen, uns mal eine richtig schöne (= lange) Zeit mit meinen Eltern und Freunden zu gönnen. Und genau das war es dann auch: Eine fantastische Zeit mit Eltern, Familie, Freunden!
Einzige Trübsal: Auch sechs lange Wochen können zu kurz sein.

Tja, und jetzt weiß ich wieder nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen und wo aufhören. Wahrscheinlich habe ich deswegen bisher nicht dazu geschrieben. Und weil ich zwischen all meinem Gemüse hier die Lieben zuhause doch ganz schön vermisse.

Vielleicht konzentriere ich mich einfach auf eines: Unsere schwäbische Hochzeits-Dank-Feier. Wir haben einen Gottesdienst in Ruit gefeiert, in der Kirche, in der ich getauft und konfirmiert wurde. Das hätte ich mir bei meinem Weggang aus Ruit auch nicht träumen lassen, dass ich dort einmal heirate! Eigentlich und offiziell und überhaupt waren wir ja schon verheiratet (genau genommen schon zwei- oder dreimal, Standesamt, Luo-traditionell, Kirche). Aber Dietmar, ein guter Freund aus Berlin, der den Gottesdienst für uns gehalten hat, hat uns dazu ermutigt, nochmals „Ja“ zu sagen. Denn das könnte und sollte man sowieso jeden Tag und immer wieder aufs Neue tun; und so ist es auch gut, die Beziehung vor den Freunden und der Gemeinde Zuhause zu bestätigen. Und ja, es war genau das Richtige. In Weiß (welche Braut hat schon das Privileg, ihr Brautkleid ein zweites Mal zu tragen?!) und mit Küssen! Außerdem habe ich mich mit meinem coolen Halfi-Musikteam getraut, das Lied "You raise me up" für Joshua zu singen. Das hätte ich in Nairobi bei der Hochzeit niemals gewagt, denn da wäre ich garantiert in Tränen ausgebrochen und hätte keine gerade Note rausgebracht!

Kurz und gut, es war einfach ein wirklich schöner Tag (puh, den Ausdruck "wirklich schöner Tag" habe ich nun über alle Hochzeits-Blog-Einträge reichlich überstrapaziert). Für mich war es unbeschreiblich wertvoll zu sehen, wie viele Menschen Anteil nehmen an unserem Leben. Was für ein Privileg, Freunde zu haben! Freunde aus der Jugend, aus der Familie, aus dem Ex-Kollegenkreis, aus der Gemeinde, vom Studium, von Urlauben. Und so war auch dieser Tag zwar intensiv und lang, aber zu kurz. Bei weitem nicht genug Zeit mit und für die Menschen, die ich von Kenia aus nicht mehr so einfach sehen kann. Leider gibt es kaum Fotos: Alle waren so mit quatschen und wohl fühlen beschäftigt, dass die Kameras größtenteils in der Tasche blieben.

Wedding Reloaded!

Mit unseren sonstigen Ausflügen langweile ich jetzt hier niemand. Nur für die Romantisch-Neugierigen: Die Flitterwoche haben wir in Barcelona verbracht. 

Flitternd in Barcelona

Ansonsten waren wir einfach viel bei meinen Eltern und haben entspannt miteinander vor uns hingelebt – mit einem unbezahlbaren Bonus: Meine Schwester war mit ihren vier Mädels auch da, und so hat Joshua neue Fans gewonnen und ich habe meine Freundschaft mit allen fünf gefestigt. Und Miri, meine enge langjährigste Freundin, lebt auch gleich um die Ecke und wir konnten mal wieder so tun, als ob wir eine ganz alltägliche, lokale Freundschaft hätten.

Wo Josh war, war auch Maddie nie weit.

Ach Mann. Kann nicht mal bitte jemand einen Kilometer-Reduzierer erfinden? Ich kauf den!

Manicure: Öfter mal „Ja“ sagen
Helmet: Freundschaften, die Kilometer in Luft auflösen (Stuttgart-Kisumu mit dem Auto: 12.469 km)

Mittwoch, 12. September 2012

Die mit dem grünen Daumen


Ich sitze im Tante-Emma-Laden meines Ogola-Neffen im Marktflecken Ahero und finde es prima, zurück in Kenia zu sein. Back home. The other home. Mein Mann stapft irgendwo auf den Farmen rum und prüft, wie es dem Mais und dem Zuckerrohr nach sechs Wochen Abwesenheit geht. Das dauert natürlich länger als gedacht, aber als pfiffige Agribusiness-Manager-Wife (was sich viel besser anhört als Bauersfrau) habe ich in der Zwischenzeit Strom und Asyl gefunden. Vielleicht lasse ich mich auch von einem Moped nach Hause fahren, wenn es zu ausgedehnt wird. Dummerweise habe ich den Hausschlüssel bei Joshua im Auto gelassen. Aber ich könnte ja schon mal anfangen, die Balken meiner Banda mit Sisalseilen zu umwickeln – mein nächstes Projekt.


Hier arbeitet mein Neffe - viel zu kaufen gibt es zurzeit nicht.


Unser Haus und Hof wird richtig hübsch. Es hat immer mal wieder ein wenig geregnet in den letzten Wochen, und die Natur spielt mit vollem Orchester. Die Rosen tun so, als ob ein Rosenzüchter sie mit Expertise und viel gutem Zureden gepflegt hätte, die Maracujas tragen ersten Früchte, und die Bougainvillen wachsen wie Unkraut. Und Sommer ist ja sowieso fast immer, also genieße ich das Draußen sein.

Ganz nebenbei (oder auch dank des prima Klimas und unseres Gärtners, je nach Sichtweise) sind wir praktisch zu Selbstversorgern geworden: Spinat, Süßkartoffeln, Kürbis und Guaven sind reif zur Ernte. Die zweite Runde Tomaten brauchen noch ein paar Tage, das hier so beliebte spinatartige Gemüse Sukuma Wiki wurde bereits über die letzten Wochen von der verwandten Nachbarschaft komplett abgeerntet. Joshua hat sogar ein paar Maisstängel zur Aufzucht, die Kolben landen dann in einem Monat auf den Grill. Aus Deutschland habe ich Salatsamen mitgebracht, die kommen jetzt mit Chilis und Paprika in den Boden. Ach ja, und Zwiebeln natürlich. Von einem Bekannten haben wir Zitronengras geschenkt bekommen. Heidaschnitz, hat mich das gefreut! Das wollte ich schon lange haben! Zum Einen soll es Moskitos verjagen (mein Plan ist, es komplett um das Haus, die Banda und die Latrine anzupflanzen – dann soll noch ein Moskito kommen!), zum Anderen schmeckt es einfach lecker im Tee. Was noch ein paar Jahre braucht, sehr zu meinem Leidwesen, sind die Bananen, Orangen, Avocados, Mangos, Baumerdbeeren (ich weiß leider auch nicht was das ist, gefunden beim Streifzug durch die hiesigen Baumschulen). Die Cashewnüsse, die wir auf unserer letzten Projektreise in der Küstenregion bekommen haben, sind noch nicht mal im Boden.


Spinat und dahinter auf dem Gestell hängt die Passionsfrucht.
Erste eigene Ernte aus dem Küchengarten. 
Fast schon übertrieben fand ich allerdings, als Joshua nachts aufgestanden ist, um Regenwasser zum Trinken aufzufangen – wie gesund das ist, weiß ich auch nicht, aber bisher hat es zumindest meinem Magen nicht geschadet. Insgesamt ist es bestimmt besser, als was hier aus der Leitung kommt (was ich auch nicht trinke).

Ich weigere mich allerdings immer noch, Hühner anzuschaffen. Schlimm genug, dass die Nachbarhennen hier ständig durchtappen. Gestern habe ich so ein albernes Huhn sogar bei uns im Schlafzimmer entdeckt! Ich kaufe meine Landeier lieber auf der Straße, auf dem Weg von Nairobi nach Kisumu. Da kommen wir ja auch immer wieder vorbei. Diese Eier sind die allerleckersten mit dem allergelbsten Eigelb, das man je gesehen hat. Das war dann auch unser erstes Abendessen nach der Ankunft im Lehmhaus: Spinat aus dem Garten, Landeier von der Straße und Reis, der noch im Vorrat zu finden war. Das schmeckt!

Die Eier werden einem direkt ins Auto gereicht. Manchmal mehr, als einem lieb ist!

Manicure: Gärtnern ohne Dreck unter den Fingernägeln
Helmet: Eier von der Straße kaufen

Samstag, 23. Juni 2012

Küss die Hand, weiße Frau!


Das Thema Huhn scheint mich irgendwie zu verfolgen. Wir waren die letzten Tage in der Küstenregion auf Projektreise (allerdings nicht an der Küste, da sind die Touristen, die brauchen unsere Hilfe nicht), und haben von dankbaren Eltern ein Huhn geschenkt bekommen. In einem winzigen Dorf, das man nur per Kanufahrt über den Fluss Tana erreicht. Dort haben wir (das heißt humedica) sechs Monate lang das Schulessen für die Kinder finanziert, Küchenutensilien und Lernmaterial eingekauft. Die obligatorische Tasse Tee im Haus der Eltern haben wir genossen, das Huhn haben wir später weiter verschenkt.

Das Huhn ist aus seiner Transportkiste entwischt! Die Freiheit währte aber nicht lange.

Kenianische Gastfreundschaft (leider oft mit großzügig Zucker im Tee).

Wilde Tiere gibt es in der Gegend auch noch. Die Bauern und Viehhirten haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu den Tieren, die wir bewundern: Elefanten zerstören die mageren Ernten, Nilpferde fallen Menschen an, Zebras sind aggressiv, Wasserbüffel – gibt es nicht mehr viele, die sind nämlich nicht so fix wie Zebras, schmackhafter als Nilpferde und lassen sich leichter wildern. Der Trick: Die Wilderer kommen zu zweit, einer bläst die Trompete und rennt um einen Baum, der Büffel stoffelig hinterher. Der zweite Mann steht bereit und schlägt dem Büffel im richtigen Moment den Muskel des Hinterbeins durch. Daraufhin fällt der Büffel, wird getötet und die Wilderer verdienen sich mit dem Fleisch illegal 8.000 Schilling (etwa 75 Euro).

Eine andere natürliche Einkommensquelle: Palmwein aus den hohen Palmbäumen. Dafür werden einfach die Äste hoch oben eingeschnitten und Flaschen angebracht, in die der Alkohol direkt aus dem Baum tropft. Allerdings können es manche Jungs wohl nicht lassen, den Tropfen noch auf dem Baum zu verkosten, und fallen dann aus zwanzig bis dreißig Meter Höhe bedudelt nach unten.

Rauf in die Palme...

...und Flaschen zum Abzapfen rangehängt.

Viel spannender, schöner und eindrücklicher als diese Erlebnisse und Erkenntnisse war die Zeit, die wir mit den Menschen verbracht haben, vor allem mit den Kindern. Die Gegend ist noch sehr unterentwickelt, Strom und fließend Wasser gibt es nirgends, als Straße halten Trampelpfade her, die so schmal sind, dass sie nur für die linken oder die rechten Autoreifen ausreichen. Die Kinder kommen von überall aufgeregt rufend angelaufen: „Gari, gari, vehicle, vehicle!!“ – ein Fahrzeug sieht man hier nicht alle Tage.

Überhaupt, die Kinder. Ihr Leben ist härter als das jedes Hartz-IV-Empfängers oder Bergwerkarbeiters in Deutschland. Schon die Fünfjährigen hüten Ziegen, die Achtjährigen schleppen 25-Liter-Kanister vom Fluss nach Hause. In der Schule sitzen sie oft im Dreck auf dem Boden, andere haben wir auf dem harten Betonboden vor ihren zu Tischen umfunktionierten Bänken knien sehen. In fast jeder Lehrerhand befindet sich eine Rute, die definitiv zum Einsatz kommt. Die einzige Mahlzeit am Tag ist das Schulessen. Deswegen kommen die meisten ja überhaupt in die Schule. Für einen Teller Reis mit Bohnen, jeden Tag das Gleiche. Wenn wir in ein Klassenzimmer kommen, schauen uns zwanzig bis siebzig ernste Kindergesichter mit großen Augen an. Bis eines anfängt, schüchtern zu lächeln. Und irgendwann lacht. Wunderschön mit funkelnden Augen lacht. Als ob es keine Mühe im Leben gäbe. Ich liebe diese Kinder. Mir geht das Herz auf und über und gleichzeitig bricht es mir. Ich freue mich wie ein Schneekönig, wenn der erste kleine Räuber den Mut aufbringt, mir die Hand hinzustrecken und dann auf einmal zig Hände mich anfassen wollen (oder neugierig meinen Nagellack an den Füßen befühlen). Ein spitzbübischer kleiner Kerl mitten im Nirgendwo hat mir doch tatsächlich einen Handkuss gegeben! Ich war hin und weg, und der Kleine ist immer wieder wo anders in der Kinderschar aufgetaucht, hat sich meine Hand geschnappt und mir begeistert weitere kaiserliche Grüße draufgeschmatzt!



Weil mich diese Kinder so beeindrucken, habe ich ihre Fotos und ein paar mehr in einem Album im Internet eingestellt – hier haben sie nicht alle Platz, und wirklich beschreiben kann man den Ausdruck in diesen Gesichtern ohnehin nicht.

Einzige Trübsal dieser Reise: Ich habe geschätzte hundertzilliontausend Moskitostiche. Irgendwie war ich der Meinung, dass es in diesem von der Trockenheit geplagten Landstrich keine Moskitos geben kann. Und habe folglich kein Moskitospray eingepackt. Dass sich der Name „Tana River District“ vom dort durchfließenden größten Fluss Kenias ableitet, der Tana, habe ich nicht bedacht (also wie wenn Württemberg „Neckar“ heißen würde). Die Moskitos haben es mir gedankt.

Manicure: Ein feuchter Handkuss mitten in der Wildnis 
Helmet: Immer, immer Moskitospray dabei haben

Sonntag, 17. Juni 2012

Kinder, wie die Zeit vergeht!

Letzten Montag sind wir von einer wunderbaren Woche Berlin-Urlaub zurückgekommen – das erste Mal zurück in der Heimat seit genau einem Jahr! Für mich ein viel besserer Zeitpunkt als Silvester, um einmal zurückzublicken auf das erste, schnell verflogene Jahr Kenia.

Bevor es losging, habe ich mindestens zwei Bedingungen für mein Auswandern gestellt, wie mich eine Freundin in Berlin erinnerte: Fließend warmes Wasser (und mit fließend meinte ich aus dem Wasserhahn, nicht im Topf erwärmt und per Plastikkanne über den Kopf geschüttet) und niemals ein Huhn rupfen müssen. Das zweite blieb mir erspart, das erste war mir nicht immer vergönnt. Soweit keine schlechte Bilanz.

In eine ordentliche Bilanz muss aber viel mehr und viel Wichtigeres einfließen. Joshua und ich haben ein Häuslein auf dem väterlichen Grund gebaut, und zwar aus Lehm, was man dem Haus aber nicht mehr ansieht. Innen ist es morgensonniggelb gestrichen, draußen haben wir rund zweihundert Bäume und unzählige Pflanzen von Oleander über Bougainvillen, Rosen, Hibiskus und sonstige Schönheiten gepflanzt. Mein Lieblingsplatz ist meine Banda im Garten, und dort die Hängematte. Anfangs kam meine Schwägerin morgens noch mit frisch gekochtem Tee samt Tassen vorbei – das macht sie leider nicht mehr, seit wir einen Gaskocher und sonstige Küchenutensilien haben.

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose... und ein Jahr lässt sich nicht 3-4 Bilder fassen, deswegen nur: eine unserer Rosen.

Ein halbes Jahr später und nur deswegen als zweites erwähnt haben wir geheiratet. Hach, war das ein schöner Tag! Wir haben den Hochzeitsfilm bisher zweimal angeschaut, und beide Male habe ich vor Glück geheult. Tausende von Fotos warten wahrscheinlich noch eine ganze Weile darauf, sortiert und in ein Buch gebunden zu werden. Und da war die traditionelle Feier auf dem Land, die mich offiziell zu Mrs. Joshua (oder Mrs. Ogola, Atieno, Madame, Mama, Jaber, Co-Wife, Schwägerin, Auntie – über Namen könnte ich auch mal schreiben) gemacht hat. Und meinen Vater zum Kuhbauern. Aber das habe ich ja alles schon erzählt.   

Ganz normal – wenn auch nicht immer begrüßenswert – finde ich inzwischen Gitter vor den Fenstern, Kühe auf der Straße, Geckos an der Wand, Stromausfall, Schlafen mit Moskitonetz, über den Preis von Tomaten und Taxifahrten verhandeln, nicht angerufen sondern geflasht werden (woraufhin man den Flasher zurückrufen muss – spart ihm Kosten), auf der linken Straßenseite fahren. Ich habe gelernt, ein direktes "Hast du zugenommen?!" als afrikanisches Kompliment zu nehmen. Und ich habe meinen Lieblingsradiosender auf 95,6 FM gefunden, und zwar vor allem deren Sundowner-Sendung zwischen sechs und sieben Uhr abends. Da werden eine Stunde lang die Golden Oldies rauf und runter gedudelt: The Boxer, Que sera sera, All out of love, Take my breath away!

Ein bisschen schwer fällt mir immer noch die ewige Warterei auf irgendwen oder irgendwas, tiefe Schlaglöcher und hohe Bodenwellen, Kisuaheli. Und weit weg zu sein von Familie und Freunden fühlt sich ein wenig wehmütig an. Aber das darf ja auch sein.

Über das Thema Heimat ließe sich ein ganzes Buch füllen. Das haben ja aber andere schon gemacht. Deswegen ziehe ich hier für mich nur das kurze Fazit, dass ich mich hier Zuhause fühle, daheim, heimatlich. In Nairobi, in Ahero, irgendwo in Kenia. Vor allem aber an der Seite von Joshua. Ist das nicht schön?

Manicure: Hier daheim sein
Helmet: Brot, Käse, Schnaps und Schokolade aus Deutschland mitbringen (lassen)

Freitag, 18. Mai 2012

Hallo! Jemand Zuhause?

Immer hereinspaziert!
Die Besuchskultur ist in Kenia ausgesprochen ausgeprägt, Gastfreundschaft wird groß geschrieben. Sogar die Redewendung dafür ist maximal optimiert: Hodi! (ruft es von draußen) – Karibu! (heißt drinnen die Antwort). Kürzer geht’s ja wohl nicht. Und schon hat man einen Gast im Wohnzimmer, der wenigstens Tee, besser eine warme Mahlzeit serviert bekommen sollte. Früher war das einfach, da hat Mutti das Gemüse rund ums Haus angebaut samt ein paar frei scharrender glücklicher Hühner. Heute kauft man sogar auf dem Land das Gemüse ein, was spontane Extra-Mahlzeiten teuer und ungeladene Besucher damit so gut wie unmöglich macht. Es soll sogar schon Leute geben, die ihren gefüllten Teller flugs unter dem Bett verstecken, wenn von draußen ein Hodi erschallt!

In den meisten Häusern (Stadt und Land) findet man aus alten Zeiten noch zwei komplette Sofagarnituren: Man weiß ja nie, wer alles gleichzeitig kommen könnte, und es soll doch Platz für alle sein! Es hat mich ein wenig Überredungskunst gekostet, in unserem Lehmhaus bei dem einen Set mit 3-er Sofa und zwei Sesseln zu bleiben.

Um zuviel Hereingespaziere einen Riegel vorzuschieben, haben wir in Ahero ein ordentliches Tor vor unserem Lehmhaus-Grundstück angebracht. Das Besondere daran ist, dass man es nur von innen öffnen kann! Sehr durchdacht. Die hiesigen Tore haben meist eine Luke, durch die man von außen durchgreifen kann, um den innen angebrachten Riegel aufzuschieben (was man eigentlich als Fremder nicht machen soll, aber trotzdem jeder macht – so wie bei uns Gartentörchen aufgeklinkt werden. Nur dass hier meist die Haustüre offen steht). Also habe ich ein Tor ohne Luke anfertigen lassen. Das minimiert die sogenannten „Gate-Crusher“, die eigentlich nur eine kostenlose Mahlzeit oder ein wenig Kleingeld wollen, sehr effektiv. Netter Besuch ist trotzdem willkommen. Deswegen kann man ja von innen öffnen.

Das beste Foto, das ich vom Tor finden konnte. Aber Joshua gefällt mir auch immer wieder gut! ;-)

Serviert wird hier wie da eigentlich immer das Gleiche. Hühnchen, Rind oder Ziege in Stücken gekocht in einer Soße aus Tomaten und Zwiebeln. Dazu Sukuma Wiki, dieses spinatartige Blattgemüse, und Ugali. Oder Reis. Ein Glücksmoment für mich ist, wenn es obendrauf Chapati gibt. Erstaunlicherweise findet Joshua das Menü immer super, während ich so langsam schrecklich gelangweilt bin (auch wenn es mir wirklich schmeckt). Deswegen habe ich nun final entschieden, nicht zu lernen, wie man Ugali kocht. Das ist zwar unerhört. Denn jeder, also wirklich jede und jeder fragt mich, ob ich Ugali kochen gelernt habe, wo ich doch mit einem Kenianer verheiratet bin. Denn Ugali muss es bei Kenianern immer geben. Ich hab da aber nicht immer Lust drauf. Ach, und außerdem: Zeig mir eine Kenianerin, die einen Stuttgarter geheiratet hat und jetzt selber Spätzle schabt!  

Reis, Fleisch, Ugali, Chapati - alles da! Ich vermute, Sukuma Wiki muss im noch geschlossenen Topf sein.

Manicure: Von anderen hausgemachte Chapati
Helmet: Mein Mann, der behauptet, er würde gar nicht so gerne Ugali essen.

Donnerstag, 26. April 2012

Und es regnet

Es regnet. Und regnet. Und regnet. Vielmehr: Es schüttet. Und schüttet und schüttet und schüttet. Vor ein paar Wochen habe ich lautstark behauptet, ich wolle Regen. Schließlich sei alles so trocken und heiß. Ich hab das nicht so gemeint. Ehrlich! Also, es kann gerne in Turkana regnen, und in Wajir, Tana River, Samburu und Garissa und all diesen fürchterlich ausgetrockneten Gegenden. Aber bitte nicht mehr in Nairobi, und nicht mehr in Ahero oder Kisumu.

Wenn es in Nairobi regnet, steht alles still. Das einzige, was fließt, sind die Sturzbäche von Wasser neben oder auf der Straße. Weil das ganze Wasser nicht weiß, wo es hin soll. Kanalisation ist hier wohl nicht so trendig. Wer kann und hat, fährt bei Regen mit dem Auto, auch wenn eigentlich kein Geld mehr für Benzin in der Haushaltskasse ist. Das Problem ist nur: Kenianische Autofahrer kommen einfach nicht klar mit Regen (etwa so wie Berliner Autofahrer mit Schnee). Schon bei den ersten Tropfen fahren sie maximal Tempo 30. Wenn es dann heftig regnet, schalten sie ihre Warnblinkanlage ein (könnte ja sein, die anderen Fahrer haben noch nichts vom Unwetter gemerkt) und kriechen nur noch. Am liebsten in der Mitte der Straße, weil sehen tun sie ja nix mehr, und da ist man mittig bestimmt am Besten aufgehoben. Auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen ist auch keine Alternative: Sammeltaxis nehmen bei Regen gerne mal bis zum Vierfachen des üblichen Fahrpreises. Angebot und Nachfrage – keiner geht gerne zu Fuß durch Regen und Matsch. Also wird der Preis erhöht, die Leute fahren ja doch mit. Meine persönliche Höchstleistung waren fünf Stunden alleine im Auto bei Regen im Stau – für eine Strecke, die sonst 20 Minuten dauert.

In Ahero gibt es zwar nicht so viele Autos, dafür verwandelt sich die komplette Landschaft rund um unser Lehmhaus in genau das: Lehm. Die „Black Cotton Soil“ ist zwar prima als Baumaterial geeignet. Aber die schwarze Erde ist auch fürchterlich klebrig und klitschig (das geht gleichzeitig). Man bleibt sowohl mit Latschen oder festen Schuhen als auch mit Vierradantrieb stecken oder rutscht fürchterlich aus. Geteert ist nur die Hauptstraße nach Kisumu und zwei Straßen rund um den Markt, auf allen anderen Straßen, Wegen und Zufahrten: Black Sticky Muddy Igitti Cotton Soil. Auf unserem Grundstück haben wir den Kampf gegen die Matsche zumindest auf etwa acht Metern gewonnen: Von der Hintertür bis zur Latrine führt jetzt ein hübsch gepflasterter, erhöhter Weg (war meine Idee, einfach genial). Den kann man auch ohne Fallgefahr gehen, wenn es dunkel ist.

Unser Weg wird gepuzzelt... vom Endergebnis gibt es noch kein Foto.  Es regnete zu stark, als ich eins machen wollte...


Strom ist nämlich das nächste Problem, auf dem Land und in der Stadt. Stundenlange Stromausfälle sind zurzeit an der Tagesordnung. Tagsüber, abends, nachts. Und irgendwann verliert jede Kerze ihre Romantik. Auch für frisch Verheiratete. Vielleicht ist das aber auch nur eine Masche der Cafés und Restaurants, die zu diesen Zeiten seltsamerweise immer recht gut besucht sind. Vor allem die mit ausreichend Steckdosen. Und wo der Strom schon mal weg ist, fällt meistens auch das Internet aus. Da hilft dann nicht mal mehr die schönste Kerze.


Notbeleuchtung in unserer Stamm-Videothek.

Manicure: Immer vor Augen halten, dass die Regenzeit kürzer als die Trockenzeit ist
Helmet: Großzügig Kerzen und Streichhölzer im Haus

Den Kindern sind der Matsch und die Riesenpfützen grade recht. Da müssen sie schon nicht mehr so weit zum Wasser holen. 

Dienstag, 17. April 2012

Die schwarzen Massai

Vor einiger Zeit haben wir eine Reise in den Süden des Landes gemacht, in das Massai-Land. Eines unserer humedica-Projekte hat uns dorthin geführt, eine Lebensmittel-Verteilung an von der Dürre betroffene Familien.

Meine ungebildete (weil nicht durch eigene Erfahrungen geprägte) Meinung über die Massai war durch die gegen Geld hüpfenden Touristen-Massais und das Hofmann-Buch „Die weiße Massai“ etwas negativ vorbelastet. Ich finde das Buch (und die Autorin, wenn ich das hier mal so offen sagen darf) einfach gnadenlos doof. Das finde ich auch heute noch, aber mein Bild der Massai ist etwas differenzierter.

Ich versuche auf unseren Reisen immer, vor allem mit den Frauen in Kontakt zu kommen. Das war mit den Massai-Frauen ein wunderbares Erlebnis! Wir haben uns erst eine ganze Weile angeguckt und angelächelt. Als das erste Baby Vertrauen zu mir gefasst hatte, war der Bann gebrochen: Wir haben gelacht, gespielt, verschiedene zumindest für mich ungewohnte Sitzweisen ausprobiert und uns mit Händen und Füßen unterhalten. Die Damen haben mir ihren Schmuck umgelegt und mir beigebracht, dass es viel schöner aussieht, wenn man seine Armreifen auf beide Handgelenke verteilt, so wie sie das tun (wobei ich das zurück in Nairobi nur noch selten mache). Sie haben versucht, mir ihr sensationelles Hüpfen beizubringen, die Grundbewegung für jeden Tanz. Das geht irgendwie vom Steiß aus und bewegt sich dann in einer eleganten Wellenbewegung durch den Körper nach oben, bis die Schultern hüpfen und die Füße gleichzeitig vom Boden abheben. Zumindest bei den Ladies war das elegant, bei mir sah es einfach nur bescheuert und zum Lachen aus. Was auch alle hemmungslos getan haben.


Es sind schöne Frauen, mit ihrem farbenfrohen Schmuck und den bunten Tüchern. Ihr Leben ist allerdings weniger schön. Massive Beschneidung von kleinen Mädchen ist noch ganz normal. Kaum eine, die beschnitten ist und schon als Kind an einen Mann versprochen, schafft den Sprung in ein besseres, zivilisiertes Leben. Kaum eine schafft eine Bildung über die Grundschule hinaus, und selbst das noch mit schwachen Noten. Was bestimmt nicht an der Intelligenz der Mädchen liegt. Zuviel anderes haben Mädchen und Frauen auf ihrem Tagesplan: Feuerholz sammeln, Wasser holen, kochen, fegen. Um die Gunst des Mannes buhlen, der noch eine bis vier weitere Frauen hat. Ziegen hüten, Schmuck anfertigen, die Grashütte ausbessern.

Über Semeyian habe ich auf der humedica-Website berichtet. 

Überhaupt die Grashütte: Ein fürchterliches Zuhause. Stockduster ist es, zu niedrig um drin stehen zu können, links eine Lederhaut als Bett über Äste gespannt, in der Mitte ein wenig Raum für die Feuerstelle, rechts wieder eine Lederhaut. Wenn da drin einer hustet, haben alle Tuberkulose. Und selbst wenn Zeit wäre für Schulaufgaben: Wo sollten die ordentlich gemacht werden?

Das Bett - entweder für alle Kinder, oder für die Erwachsenen.

Wir haben viel diskutiert auf der Rückfahrt, warum die Massai leben, wie sie leben und offensichtlich wenig Interesse an einer Weiterentwicklung haben. Man sagt ihnen nach, dass sie genauso stolz wie stur sind. Sie wollen immer noch als Viehhirten leben, aber die meisten Tiere sind seit der langen Trockenheit verhungert. Für die noch bestehenden Herden gibt es kaum Weideland, und schon gar kein Nomadendasein, da viel Land inzwischen für ein wenig schnelles Geld verkauft und vom neuen Besitzer eingezäunt wurde.

So richtig zu einem Schluss gekommen, wie das mit den Massai in den nächsten Jahrzehnten weitergehen kann, sind wir nicht. Ich würde einfach nur jedem Mädchen und jeder Frau die Privilegien (oder vielmehr Rechte) wünschen, die mir geschenkt wurden: Selbstbewusstsein, Rückhalt und Mut zum Hinfallen und wieder Aufstehen, und die Freiheit mitsamt der Möglichkeit, den eigenen Weg wählen zu dürfen.

Manicure: Hüpfen und lachen und kurz mal alles andere vergessen
Helmet: Das mit den Ohrlöchern gar nicht erst anfangen!


Dienstag, 10. April 2012

Ich glaub, ich bin im Zoo

Manchmal denke ich, ich habe hier eine Dauerkarte für den Zoo. Wobei ich offensichtlich nicht mal abends den Ausgang finde. Und leider scheine ich mich aus irgendeinem Grund hauptsächlich im Kleingetierhaus aufzuhalten. Insektarium, Terrarium, oder wie das heißt.

Von Moskitos will ich jetzt mal gar nicht reden, das ist Standard. Auch wenn es jedes Mal fürchterlich nervt, wenn eins dieser kleinen Biester doch wieder eine Ritze im hermetisch abgeriegelten Netz gefunden hat, durch die es sich durchwinden kann. Um einem dann nachts vorzugsweise um die Ohren zu surren und auf die Stirn zu stechen.

Wirklich unangenehm finde ich Kakerlaken. Die sind hier etwa so groß wie mein kleiner Finger und braun. Wir haben zwei dieser Kollegen in unserer Latrine aufm Land. Sie kommen nur abends raus, scharren geräuschvoll mit ihrem seltsamen Körper und stellen sicher, dass ich recht schnell fertig bin. Wenigstens sind sie nur zu zweit (Freunde haben dutzende!) und beschränken sich auf dieses Örtchen. Im Haus ist noch keine aufgetaucht. Da hausen Grillen, Ameisen, Käfer, Spinnen und kleine Eidechsen. Mit den meisten habe ich mich auf eine friedliche Koexistenz geeinigt. Nur wenn die Riesenameisen dann ihre fliegende Saison haben und überall ihre toten Flügel (manchmal ist auch die Ameise noch mit dran) rumliegen lassen, das nervt.

Eine Grille. Sie und ihre Freunde machen nachts mächtig Radau vorm Haus.

Meine Banda ist seit ein paar Wochen von Termiten befallen. Die haben doch glatt innerhalb von ein paar Wochen einen Pfosten halbe durchgefressen. Ihren Abfall schieben sie durch die Lehm- und Kuhdungwand kreuz und quer von links nach rechts und unten nach oben ins Freie. So dass ich jetzt überall Löcher mit kleinen Häufchen davor habe. Ich hoffe, dass das Termitengift dieses Kapitel schnell beendet.

Oben sauber abgenagt, nach unten innen mächtig abgefressen.

Vor einiger Zeit habe ich im Wohnzimmer in Nairobi ein seltsames Geräusch von der Decke gehört, irgendwo in der rechten Zimmerecke. Es hörte sich an, als ob ein Vogel sprechen gelernt hätte. Kurz darauf bewegte sich das Geräusch nach links, und wieder nach rechts. Auf einmal schaute ein Eichhörnchen über den Rand des Vorhangkastens! Auf die nach oben geworfenen Erdnüsse kam keine Reaktion. Wie bei Hänsel und Gretel habe ich dann ein paar Nüsse Richtung Fenster ausgelegt. Das Eichhörnchen spickelte zwar immer mal wieder über den Rand, aber runterkommen wollte es nicht. Als Joshua spät abends vom Deutsch-Sprachkurs ausm Goethe-Institut zurückkam, kletterte er hoch, um sich das neuste Zoomitglied anzusehen. Aber retten wollte oder konnte er es auch nicht. Am nächsten Morgen war das Eichhörnchen dann zurück im Garten (zumindest war es nicht mehr im Vorhangkasten). Dort finde ich es auch deutlich putziger zu beobachten.

Hallo?!

Die größeren Tiere, die man in der Stadt so sieht, sind Affen, Marabu-Störche, Warzenschweine und Rinder (blockieren auch gerne mal die Straße vor dem Flughafen), bei uns in der Nachbarschaft ist ein kleiner Giraffenpark, mit etwas Glück entdeckt man auf der Strecke von Nairobi nach Kisumu Zebras. Unsere Safari neulich in der Massai Mara hat uns mit Löwen, Büffeln, Straußen, Giraffen, Elefanten, Nashörnern, Geparden, Antilopen, Hyänen, Nilpferden und Krokodilen beglückt. Das sind dann die Momente, wo ich mich über meine Dauerkarte für den Zoo freue.

Eine unserer Nachbarinnen.

Manicure: Giraffen statt Kakerlaken
Helmet: Insektenkiller

Sonntag, 25. März 2012

Der glücklichste Tag meines Lebens

Was schreibt man über den „glücklichsten Tag im Leben“?

Ich war so, so glücklich!

Das Schöne ist, es war wirklich so. Zumindest ab dem offiziellen Startpunkt der Hochzeitsfeier. Davor war ich teils nervös, teils übermüdet, teils gespannt. Und voller Vorfreude! Manche Beobachter behaupten, ich sei dementsprechend nicht zum Altar geschritten, sondern gerannt. Ja klar, ich wollte ja schließlich so schnell wie möglich meinen Joshi heiraten und wir waren schon zehn Minuten zu spät dran!

Meine Laufschuhe

Zehn Minuten ist übrigens nicht viel für kenianische Hochzeiten. Da wartet man gerne mal 1-2 Stunden auf die Braut. Bei uns war sogar schon das Musikteam unserer Gemeinde da. Daran hatte ich kurzzeitig Zweifel, da ein paar Sänger viel zu spät zum vereinbarten Treffpunkt kamen. Ein paar hitzige Telefonate vom Hochzeitsfriseur aus mit dem Fahrer, und schließlich sind wir alle in einem Auto gefahren, zu neunt plus Gitarre. Gut, dass eine Braut das Privileg genießt, alleine vorne zu sitzen. Das hätte meine Frisur ansonsten nicht überlebt. Mein Friseur war nämlich der Meinung, ich sei zum Probestecken gekommen und ganz baff, als ich ihm am Schluss sagte, heute sei der große Tag! Er hat das Kunstwerk dann noch schnell glatt gesprüht, und alles war gut. Einmal mit einem wirklichen Profi gearbeitet!

Leider hatten es bis zu meinem Einrennen nur die deutschen Gäste, unsere internationalen Freunde aus Nairobi und ein kleiner Teil der kenianischen Verwandtschaft in die Kirche geschafft (also in den Teil des Gartens, den wir als Kirche deklariert hatten). Wie meinte unser Pastor so humorvoll zur Begrüßung: „Herzlich Willkommen, liebes Brautpaar. Und wie schön, ich sehe, ein Teil der Gäste ist ja auch schon da!“

„The rest is history“ – der ist Rest Geschichte.

Es war unglaublich schön, Joshua das Ja-Wort zuzusprechen (auch wenn ich fürchterlich enttäuscht war, dass man in der englischen Zeremonie nicht „YESSSS!!!!“ sondern „I will“ sagt). Tief in die Augen schauen, Ring anstecken, endlich weg mit dem Schleier und küssen! Danach durften wir dann auch unsere Stühle zusammen rücken und nebeneinander sitzen. Davor saßen wir traditionsgemäß er neben seinem Best Man (Trauzeuge) und ich neben meiner Maid of Honor (Trauzeugin), mit gebührendem Abstand zwischen den Stühlen.

Ein Windstoß zur rechten Zeit...

Es war unglaublich schön, den Kuchen anzuschneiden. Glücklicherweise war mein Bruder in der Nähe und hat mir zugeflüstert, dass ich meine Hand oben aufm Messer haben muss – das wusste ich gar nicht! Wir hatten uns für eine afrikanische Kuchenszene entschieden: Eine Rundhütte und zwei Kochtöpfe aus Schoko- und Marmorkuchen. Das Hüttendach haben wir mit auf Safari genommen (unsere quasi Mini-Flitterwochen gemeinsam mit einigen deutschen Gästen). Die Hütte an sich steht in unserem Küchenschrank, bis zu unserem ersten Hochzeitstag. Dann werden wir herausfinden, ob sie wirklich so lange hält, wie die Kuchenbäckerin behauptet hat.

Da hat Joshua eindeutig die Oberhand.

Es war unglaublich schön, nach dem Kuchenessen Fotos machen zu gehen. Eine Stunde Zeit nur für uns (na gut, plus Fotograf und Videotyp). Wir hatten unglaublich viel Spaß und haben uns hin und weg geflirtet.

Weg, nur wir zwei...



Es war unglaublich schön, wiederzukommen und eine super Party in vollem Schwung vorzufinden! Schwarz oder weiß, Dorf oder Stadt, alle hatten riesig Spaß, haben sich bunt durcheinander gemischt und in verschiedenen Sprachen oder auch mit Händen und Füßen unterhalten. Sogar der Kellner bedankte sich am nächsten Tag herzlichst und meinte, es sei ja so ein tolles Fest gewesen! War es auch. Mit tollen, wunderbaren Gästen. Josh und ich haben es wahnsinnig genossen.

Es war unglaublich schön, den Hochzeitstanz mit Josh zu tanzen. Vielmehr zu schaukeln und zu drehen, wir können ja beide nicht richtig tanzen. Aber für unser Lieblingslied „Mombasa Moon“ und für unsere Stimmung war das genau das Richtige.

Der Hochzeitstanz - festhalten und improvisieren!

Es war unglaublich schön. Und ich war so glücklich!  

Manicure: Habe ich selber gemacht, für’s Studio war keine Zeit mehr
Helmet: Etwa 80 Zentimeter elfenbeinfarbener Tüllstoff am Hinterkopf angesetzt, plus ein halber Meter für vorne