Sonntag, 20. Januar 2013

Nach der Wahl ist vor der Wahl


Hier war vielleicht was los heute. Brennende Autoreifen, Straßenblockaden, Menschenaufläufe, bewaffnetes Militär. Unser Dorf Ahero hat es damit bis in die nationalen Nachrichten geschafft. Gut, dass ich den größten Teil nicht mitbekommen habe. Ich habe einen fürsorglichen Mann, der mich irgendwann in Kisumu anrief, ich solle mal schön dableiben, bis er mich wieder anruft mit der Info, dass die Luft rein sein. Also habe ich mir eine Pizza bestellt und abgewartet...

Brennende Reifen, Steine - Straßenblockade auf dem Weg von Kisumu nach Ahero.
Am Donnerstag waren hier die sogennanten Party Primaries, das sind lokale Wahlen im ganzen Land, vor der nationalen Wahl am 04. März. Seit Wochen gab es überall nur noch Kampagnen, alle Politiker gaben ihr Bestes, um sich die Gunst der Wähler zu sichern. Vom Partymobil bis zum Wohnzimmergespräch mit großspurigen Wahlversprechen, und immer wieder Bargeld an alle, die schlicht anwesend waren bei den Zusammenkünften. Woanders würde man das „Stimmen kaufen“ nennen. Anscheinend gab es das sogar bis an die Wahllokale. Genau diese aber, die Wahllokale, haben in Ahero am Donnerstag nie aufgemacht. Denn – die Stimmbögen und Wahlurnen haben es nicht bis dahin geschafft! Wieso? Weiß kein Mensch, oder kann sich jeder denken. Am Samstag kamen sie dann endlich in einem privaten Fahrzeug, die Leute standen stundenlang Schlange um zu wählen. Bis ihnen jemand sagte, dass ihre Stimme nun für ungültig erklärt würde, da sie diese ja nicht pünktlich abgegeben hätten. Und irgendein Gremium hätte bestimmt, dass der Bruder des jetzigen Premierministers als Gewinner der entsprechenden Partei in der Region gesetzt würde, und die Schwester für ein anderes Partei-Amt. Zufall?!

Ein kleines Dorf-Kampagnen-Mobil. Aber immer dabei: Große Lautsprecher für viel Wumms!

Schon etwas schicker. Aber es ging noch größer!

Wahlwerbung ist überall...

Es ist jedenfalls bitter für die anderen Kandidaten. Alle hatten ihren Funken Hoffnung auf Macht und Reichtum, und haben zum Teil ihr letztes Hemd dafür gegeben. Es kommt immer wieder vor, dass Menschen sich privat ruinieren, um in der Politik mitspielen zu können. Erst am Dienstag noch rief ein Cousin bei Joshua an, er bräuchte dringend Geld, jetzt sofort, da er mit seinen potenziellen Wählern zusammen säße und die würden nun vor dem Nachhausegehen mit einem kleinen Handgeld rechnen, so wie er mit ihrer Stimme. Und er sei nach wochenlangem Wahlkampf pleite. Ob wir ihm Geld geben könnten? Nein, könnten wir nicht.

Für die Wahlen im März verheißt das nichts Gutes. Bisher dachten wir, dass es Randale wie 2007/08 nicht wieder geben würde. Inzwischen sind wir nicht mehr sicher. Wenn sich die Menschen schon untereinander, in der selben Partei und im selben Volksstamm bekämpfen, was heißt das erst auf nationaler Ebene mit all ihren Parteien und Stämmen. Vor allem hier, im Luoland, wo die Menschen aufgrund der Geschichte unbedingt der Meinung sind, dass der nächste Präsident ein Luo sein muss.

Wir haben jetzt erstmal eine Liste angefangen mit Dingen, die wir für den Ernstfall bevorraten werden. Reis, Kartoffeln, H-Milch, Klopapier, Telefonguthaben, Kerzen. Und tausend andere Dinge. Im Laufe der Woche wird fix nochmals Spinat und anderes schnell wachsendes Gemüse im Garten gesät. Und dann schließen wir uns so lange wie nötig in unserem Lehmhaus ein, wo wir sicher sein sollten. Solange wir nicht nach Ahero selbst oder nach Kisumu müssen, sondern nur übers Feld beim Nachbarn Tomaten und ein Huhn kaufen, wird das okay sein. Es geht den Randalierern nicht um Überfälle, zumindest nicht unter den Landsleuten. Sondern um Chaosmache, Ärger und Frustration in Kämpfen auf der Straße rauslassen.

...Als dann heute Nachmittag gegen fünf der Anruf kam, ich könnte nach Hause fahren, war ich doch froh. Auch in manchen Gegenden von Kisumu kam es zu Straßenschlachten, wie ich von Freunden per sms hörte. Aber ich war nah genug am Ortsausgang Richtung Ahero. Ich musste mich zwar noch an brennenden Autoreifen vorbeischlängeln, habe tunlichst alle Autofenster zugelassen und bin flott an allen Menschengruppen mit mehr als einer Handvoll Personen vorbeigefahren. Aber ich konnte nach Hause. Ich hatte mir vorsichtshalber schon einen Platz zum Schlafen bei einer Freundin in einer ruhigen Ecke Kisumus gesichert.

Die Überbleibsel in Ahero.

Manicure: Auch Schokolade bevorraten
Helmet: Schön sitzen bleiben

Freitag, 11. Januar 2013

Der Räuber Hotzenplotz in Kenia


Irgendwie war ich in letzter Zeit etwas schreibfaul. Oder vielleicht hatte ich eine Schreibblockade, das hat ja jeder berühmte Autor mal. Dabei gibt es hier so viele spannende Themen, die unbedingt noch beschrieben werden müssen. Wellblech in allen Bauformen, ein Einbruch und andere Ganovengeschichten, Essen (vor allem Fleisch), Weihnachten, Neujahr, Wahlkampf 2013. Puh. Und dabei habe ich bereits nach gut einer Woche das Gefühl, dass das neue Jahr schon wieder halbe rum ist!

Lassen wir es langsam angehen. Und ärgern wir (das „Doktor-wir“) uns nicht über die Widrigkeiten des Lebens in Kenia. Die es auch sonst überall geben könnte. Zum Beispiel der Einbruch in unserem Haus in Kisumu-Mamboleo Ende letzten Jahres. Wir leben ja ausschließlich auf dem Dorf, also stand das Haus leer (inzwischen haben wir Mieter gefunden). Wir haben zwar einen Nachtwächter, einen nichts fürchtenden Massai. Die Massai werden überall gerne als Guards eingestellt. Wer nicht mal vor einem Löwen zurückschreckt, wird doch auch mit Kleinstadt-Ganoven fertig werden! Blöd nur, wenn der Massai nicht am Arbeitsplatz ist, wenn der Spitzbub kommt. So geschehen bei uns. Unser Massai hatte super Ausreden, was er früh morgens um fünf gerade unbedingt erledigen musste. In der Zeit konnten die Diebe in aller Ruhe das Außentor plus zwei Haustür-Schlösser knacken und im Haus diverse Gegenstände von einem Musiksystem über einen Gaszylinder bis hin zu einer Sofakissenhülle mitnehmen. Meine Vermutung ist, dass die Sofakissenhülle dem Transport des Diebesgutes diente. Ehrlich, der Dieb hat ja wohl gar nicht mitgedacht! Kommt ohne Tasche ins Haus! Für uns sehr ärgerlich, ich glaube nicht, dass wir den Stoff nochmals finden (wobei die Farbe mir ohnehin nie gefallen hat). Nächstes Mal lege ich Tüten bereit mit einem großen Hinweisschild: Bitte bedienen Sie sich! Sofakissenhüllen sind freundlicherweise liegen zu lassen!

Robust genug ist der Stoff bestimmt, um in der Kissenhülle alles mögliche zu transportieren.

Etwas absurd oder einfach nur ungewohnt ist, wie sich bei so einer Geschichte die Polizei verhält. Als wir vor zwei Jahren in Mombasa ausgeraubt wurden, tauchte einer der Polizisten allen Ernstes im Mickey-Mouse-Shirt auf und hat mich nach einem Stück Papier gefragt, für seine Tatort-Notizen. Hallo?! Ich wurde gerade ausgeraubt, ich habe nichts mehr! Unsere Kisumu-Polizisten waren zwar nicht in Uniform, aber doch besser gekleidet. Wir mussten sie abholen, da sie leider kein Fahrzeug haben und ansonsten nicht zum Tatort kommen können. Vor Ort haben sie sich total chefmäßig umgeschaut und es sich dann so schnell wie möglich auf dem Sofa bequem gemacht. Ich bin die einzige, die von den 1A Fußabdrücken in der verstaubten Küche Fotos gemacht hat. Das ist doch super Beweismaterial! Oder schaue ich zuviel Tatort?! Nach der Bestandsaufnahme haben wir die Polizisten samt Wächter dahin gefahren, wo der Massai nachts angeblich hin musste. Und anschließend haben wir sie zum Mittagessen eingeladen, damit sie bereit sind, tags drauf nochmals abgeholt zu werden, um den Massai-Guard festzusetzen. Das haben sie dann auch gemacht. Auf ein Protokoll warten wir allerdings immer noch. Vielleicht sollte ich mal ein Blatt Papier vorbeibringen?

Der Dieb war also barfuß unterwegs... aha...

Ein anderer Halunke hat uns auf einem Grundstück einen Zaun geklaut. Einen Zaun! Besser gesagt den Stacheldraht zwischen den Pfosten. Die Pfosten haben wir dann selber ausgebuddelt, bevor den Hausfrauen in der Nachbarschaft noch einfällt, dass sich Zeder super als Brennholz in der Küche eignet. Soll alles schon vorgekommen sein. Und der Zaundieb hat den Draht nur abgeschnitten, um ihn als Altmetall zu verkaufen. So ein Schwachsinn. Das wiegt doch nichts, bringt ihm also nur ein paar Schilling Taschengeld, aber uns kostet ein neuer Zaun eine richtige Stange Geld. Der Schaden ist also für uns viel größer als für ihn der Gewinn. Wobei das ja bei Einbrüchen oft der Fall ist.

Über Weihnachten waren Joshua und ich in einem hübschen kleinen Guesthouse im Grünen nicht weit von hier. Herrlich, zwei Tage nur wir zwei, spazieren gehen, reden, über Weihnachtstraditionen sinnieren, wohl sein lassen. Bis auf eine jähe Unterbrechung der zweiten Nachtruhe. In der Nacht vom 25. auf den 26.12. – der hiesigen Weihnachtsnacht – hat jemand die Geldkassette aus der Bar gestohlen und bei der Gelegenheit die ganze Bar niedergebrannt. Als so gegen 3 Uhr draußen Schreie zu hören waren, ist Joshua sofort rausgelaufen, um zu sehen was los ist und zu helfen. Ich hatte sofort die wildesten Befürchtungen, dass die Störenfriede noch da seien, es zu einer Schießerei käme und wir nicht mal ein Ehejahr voll machen. Er kam dann aber schnell zurück ins Zimmer, der Dieb war schon weg, und Joshua suchte irgendwelche Gefäße zur Brandlöschung. Zwei Stunden später kam er recht verrußt wieder – soweit man das schwarz auf schwarz erkennen kann. Wie ein Weihnachtsmann, der durch einen ungeputzten Schornstein kommt... Umgerechnet 400 Euro hat der Dieb erbeutet. Ökonomisch nicht sehr sinnvoll und schon gar nicht weitsichtig. Hätte er die Bar stehen lassen, hätte er in spätestens 2-3 Monaten wieder so viel bekommen können.

Was so alles in Joshua’s Farmen passiert? Gelangweilte Jugendliche zündeln Wasserleitungen an, Kühe werden im frisch gekeimten Mais gegrast, Dämme aus irgendwelchen Befindlichkeiten eingerissen, gefurchte Äcker schnell zugeschoben um den Eindruck zu erwecken, man habe das Pflanzgut tatsächlich vergraben und so weiter.

Das waren jetzt alles etwas düstere Geschichten. Die zwar durchaus ihre Komik haben, wenn man sie aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet. Der Großteil der Leute aber ist wirklich einfach sehr nett. Man grüßt sich, man hilft sich, man hat immer Zeit für ein Schwätzchen, viele Arbeiter auf den Farmen schuften wirklich... Auch wenn wir hier und da Verluste hatten: Ich bin dankbar, dass uns bei all diesen und anderen Gelegenheiten noch nie etwas passiert ist. Keine Schramme am Körper, keine an der Seele. Gott sei Dank.

Manicure: Sich mit netten Menschen umgeben
Helmet: Einfach nicht so viel haben