Freitag, 30. Dezember 2011

Weihnachten wie bei Maria


Diese Weihnachten waren irgendwie unweihnachtlich. Erst fand ich das traurig. Bis mir einfiel, dass Maria damals ja auch nicht so schöne Oh-Tannenbaum-Weihnachten hatte.

Meine Weihnachtsgeschichte ging so: Am 22. Dezember sind wir von Nairobi nach Kisumu gefahren. Wir wollten entspannte Weihnachten auf dem Land verbringen, in unserem Lehmhaus. Leider fiel Joshua auf dem Weg ein, dass wir noch vor Weihnachten mit dem deutschen Auto (unser humedica-Dienstwagen) über die Grenze nach Uganda und wieder zurück müssen, um die Verlängerung für die Fahrerlaubnis auf kenianischen Straßen zu bekommen. Genauso bekloppt wie damals, als die Leute los mussten, um sich in ihrer Heimatstadt beim Einwohnermeldeamt registrieren zu lassen.

Theoretisch wollten wir gleich tags drauf früh los. Praktisch hatten wir einen Platten, mussten nach einem Stück Land schauen, sonst was erledigen und mit der Verwandtschaft rumhocken, bis wir viel zu spät los und so um halb drei Nachts in Uganda angekommen sind. Immerhin haben wir nach ein bisschen Suchen ein halbwegs anständiges Zimmer gefunden. Mann, muss das ätzend gewesen sein für Maria! Den Tag vor Weihnachten doof in der Gegend rumgurken! Wenigstens bin ich nicht im neunten Monat schwanger (oder überhaupt, um den neugierigen Leser zu informieren).

Am 24. Dezember war’s nicht viel besser. Ehre-sei-Gott-in-der-Höhe haben wir einen Weihnachtsengel an der Grenze getroffen, der uns fix die neue Genehmigung ausgestellt hat. Aber statt mittags waren wir abends zurück und nichts war vorbereitet. Als es dann auf den letzten Metern auch noch anfing zu schütten und alle unsere Klamotten nass wurden (die Reisetaschen waren nämlich auf der offenen Ladefläche unseres Pick-up verstaut, wir hatten das Auto voll mit Leuten), hat’s mir erstmal gereicht. Der deutsche Weihnachtsabend war ins Wasser gefallen. Ich weiß, ich sollte alles in allem dankbar sein. Maria hatte bestimmt nicht so viele Kleider auf ihrer Reise dabei. Oder überhaupt in ihrem Besitz.

Der eigentliche Feiertag ist hier der 25. Dezember. Der Plan war, morgens in die Kirche zu gehen, und dann gemütlich zu grillen. In die Kirche sind wir eine Stunde zu spät gegangen (und ich Depp stehe rechtzeitig auf). Ganz schlimm für mein deutsches Verständnis. Gar nicht schlimm für hier. Gegen Ende des Gottesdiensts wurde es noch richtig lustig: Die Kirchgänger, die kein Cash haben, bringen als Opfer ein Huhn, eine Tüte Mais, Tomaten, Eier oder sonst was vom Hof mit. Das wird dann alles versteigert und das Geld als Opfergabe verbucht. Prima Sache. Joshua hat zwei Hühner und eine Tüte Zwiebeln ersteigert, und ich ein Schaf. Das Schaf habe ich eigenhändig am Strick nach Hause gezerrt und direkt meiner Schwägerin geschenkt. Wir sind dann zum Mittag erstmal Fisch essen gegangen. Und im Anschluss wieder vier Stunden durch die Gegend gefahren, ein paar Sachen einkaufen und organisieren. Keine Ahnung, warum das immer so lange dauert. In der Zwischenzeit waren beide Hühner geschlachtet und gerupft und bereit für den Grill. Und dann musste ich wieder an Maria denken: Statt in trauter Familienrunde um das Huhn zu sitzen, wurden wir immer mehr. Cousins, Schwägerinnen, Bruder, Neffen. Die arme Maria. Da will sie gemütlich mit ihrem Josef das Neugeborene genießen, kommen einfach von irgendwoher Hirten reingelatscht. Ich kann ihr nur wünschen, dass sie ihnen nicht auch noch was kochen musste.

A propos Josef. Als Joshua und ich im Supermarkt waren, die letzten Einkäufe fürs Grillen machen, fragt er mich, was ich zu Weihnachten möchte. Ich dachte, das sei ein Witz. War aber kein Witz. Er hatte kein Geschenk für mich. Angeblich, weil ich so wählerisch bin (ha! ha ha!) und deswegen am besten selbst aussuche, was ich möchte. Würde mich allerdings sehr wundern, wenn Josef an ein Geschenk für Maria gedacht hätte.

Ob Maria wohl Halme aus der Krippe gezupft und daraus Strohsterne gebastelt hat? Mein Tipp ist: Nein. Wir haben die Weihnachtsdeko auch weggelassen. Und zwar komplett. Ich hatte zwar deutsche Sterne und Figürchen, sogar einen Weihnachtsbaum aus Holz mit elektrischen Kerzen! Bis es soweit war, hatte ich aber einfach keine Lust mehr. Es fühlte sich eben so gar nicht nach Weihnachten an. Und festlich schmücken tut hier sowieso keiner irgendwas. Also habe ich es gelassen. Wie Maria.

Manicure: Die Weihnachtsgeschichte erleben
Helmet: Nächstes Jahr traditionell in Deutschland feiern

Unser Huhn wird versteigert...

...nach Hause geschleppt...

...gerupft...

...gegrillt...

...und gegessen.

Mittwoch, 23. November 2011

Meine anderthalb-Minuten-Hochzeit


Ich kann es immer noch kaum glauben: Ich bin tatsächlich verheiratet! Wahrscheinlich sind es die Unwägbarkeiten dieses Landes und der Menschen in diesem Land, die mich bis zum Schluss in dieser „Das glaube ich erst dann, wenn es wirklich soweit ist“-Stimmung hielten. Deswegen bin ich jetzt auch umso mehr glücklich-überrascht-überwältigt!

Bis allein der ganze Papierkram erledigt war: Rausfinden, welche Dokumente bei einer kenianisch-deutschen Hochzeit für ihn und sie gefragt sind, diese Dokumente organisieren (was ich ganz klar ohne die Hilfe meiner Eltern in Deutschland nicht geschafft hätte – Danke!) und auf der Deutschen Botschaft in Nairobi beglaubigen lassen. Dass alle meine Dokumente nur als liebevoll ausgedruckte Farbscans vorlagen und nicht wie gefordert im Original, haben die Beamten zum Glück nicht gemerkt. Es war kurz vor der Mittagspause, als wir unsere Mappe vorlegten. Ein guter Zeitpunkt, wenn man schnell wieder aus dem Amt raus will!

Letzten Freitag, rund zwei Wochen nach Abgabe der Dokumente, war es soweit: Wir hatten unseren Trautermin beim Standesamt. Dazu sollten wir unsere Ringe und zwei Zeugen mitbringen. Joshua hatte seinen besten Freund Martin gefragt, und ich seinen Bruder Fred. Um halb neun wollten wir uns auf dem Standesamt treffen. Gegen acht rief Martin an: Er sei noch von außerhalb der Stadt unterwegs, es würde später, aber so bis in 1-2 Stunden sei er da. Wie bitte?! Fred sagte zwar, er sei in der Nähe, kam aber auch nicht, beziehungsweise viel zu spät. Glücklicherweise habe ich meine Bekannte Meleesa auf dem Gang getroffen, eine Amerikanerin. Sie war genau an dem Morgen da, um die Dokumente für ihre Hochzeit mit ihrem Verlobten aus Burundi einzureichen. Und sie ist lange genug in Kenia gewesen, um lachend und gerne zuzustimmen, meine Spontan-Zeugin zu werden und an Fred’s Stelle zu unterschreiben. Martin war nämlich inzwischen aufgetaucht. Martin ist dann allerdings genau in dem Moment wieder verschwunden, als wir nach zweistündigem Warten endlich in den Marriage Room gerufen wurden. Er hatte Hunger bekommen, weil er früh um vier losgefahren war, um rechtzeitig in Nairobi zu sein, und brauchte genau zwei Minuten, bevor es losging, was zu Essen. Mann!

Die Standesbeamtin fand das gar nicht amüsant, als ich allein in den Raum bin und ihr erklärt habe, dass mein Zeuge weg sei, aber bestimmt gleich wieder da, und mein Mann auch, weil er nämlich nach dem Zeugen schaue. Oder ob wir vielleicht einen Zeugen austauschen könnten, der andere war ja inzwischen angekommen? Nein, das geht nicht, weil die Heiratsurkunde bereits aufwändig auf einer Uralt-Schreibmaschine getippt worden war und überhaupt sind pro Paar nur wenige Minuten vorgesehen, und schon gar kein Warten auf irgendjemand. Ansonsten müssten wir eben nochmals raus und von vorne anfangen. Draußen saßen schließlich schon zig andere Paare samt ihrer Zeugen, die alle zur gleichen Uhrzeit bestellt worden waren. – Nein, bitte! Die beiden kommen ja bestimmt auch gleich!

Was war ich dankbar, als Joshua auf einmal mit Martin in der Tür stand! Die Standesbeamtin hat uns die richtigen Plätze vor ihrem Schreibtisch zugewiesen, und los ging’s. Nach den einleitenden Sätzen fragte sie nach unseren Ringen. Die Ringe!! Die waren noch in meiner Handtasche am anderen Ende des Raums. Aus der Stuhlreihe gezwängt, schnell zur Tasche und die Ringschachtel aus der Plastiktüte unseres üblichen Supermarkts gekramt (was anderes hatte ich am Morgen auf die Schnelle nicht griffbereit). Zurück zu ihr, alle aufstehen und erst Joshua, dann ich nachsprechen und Ring anstecken. Jeweils vier kurze Sätze, von der Standesbeamtin gelangweilt vorgesprochen, von Joshua heldenhaft und von mir mit zittriger Stimme wiederholt (da wurde mir auf einmal bewusst, wie „groß“ das ist, was wir da tun, und wie schön und voller Liebe und emotional!) – und schon waren wir verheiratet! Es blieb kaum Zeit für einen Kuss, weil bereits das nächste Paar reingerufen und auf unsere noch warmen Stühle gesetzt wurde. Alle noch unterschreiben, unsere Hälfte der Heiratsurkunde abreißen und entgegennehmen. Und während wir fix ein paar verwackelte Fotos in einer gruselig ausschauenden Blumenecke gemacht haben, fing schon die Zeremonie (oder was man so Zeremonie nennt) für das folgende Paar an.

Nachsprechen - Ring anstecken - Verheiratet sein!

Meine Adhoc-Zeugin Meleesa, Martin, das glückliche Paar, der Zu-spät-Zeuge Fred

Alles in allem eine echt kenianische Hochzeit, die mich sehr amüsiert hat. Die Romantik kommt dann im Februar bei der kirchlichen Trauung. Und das Wichtigste ist ohnehin: Es ist wirklich wahr, ich bin verheiratet!

Manicure: Heiraten
Helmet: Lange genug in Kenia gewesen zu sein, um ein solches Standesamts-Durcheinander lustig zu finden

Montag, 10. Oktober 2011

Das Wmmm-Dilemma

Anlässlich mehrerer aktueller Begebenheiten möchte ich mich heute einem eher privaten Thema widmen: Dem „Wenn man mal muss“-Dilemma. Das ist ja nun nicht zwingend ein Dilemma – hier in Kenia wird es aber ganz schnell zu einem. Das hängt davon ab, ob man groß oder klein muss, in der Stadt oder auf dem Land unterwegs ist, es noch ein wenig verheben kann oder zwecks Durchfall lieber schnell gehen sollte.

Grundsätzlich bin ich inzwischen der Überzeugung, dass ich lieber wild pinkle, also irgendwo hinter einem Gebüsch verschwinde, als auf ein versifftes und übel riechendes Klo zu gehen. Das geht aber natürlich nur, wenn man in freier Wildbahn ist. In städtischen Spelunken-Klos hilft nur eins: Hosen hochkrempeln (um Kontakt der Kleidung mit dem Boden zu vermeiden) – Sicherstellen, dass Toilettenpapier vorhanden und in greifbarer Nähe ist – In die Hocke gehend balancieren und auf keinen Fall den Sitz berühren – Hoffen, dass keiner zur Tür reinkommt (denn die ist natürlich nicht abschließbar) oder bei Nacht: Hoffen, dass keiner draußen vorbeiläuft (denn drinnen fehlt die Glühbirne und die Tür muss offen bleiben, damit ein wenig Licht von draußen reinfällt) – Schnell machen und ohne Boden- oder Wandkontakt wieder raus – Desinfektionsmittel für die Hände dabei haben (denn aus dem Wasserhahn kommt kein Wasser). Das ist eigentlich recht einfach, wenn man den Bogen erstmal raus hat. Aber schön ist es nicht.

Neulich waren wir in der tiefsten Pampa im Osten Kenias unterwegs. Wir haben einige Schulen besucht, die wir vielleicht mit humedica unterstützen werden. Ein Kindergarten findet in einer Kirche statt, für ein eigenes Gebäude ist kein Geld da. Der Pfarrer hat uns das Gelände gezeigt: ein Lehmhaus-Kirchen-Klassenzimmer, eine Lehmhaus-Küche, ein Brunnen mit Handpumpe und eine aus Ästen lose zusammengesteckte Latrine. Der Pfarrer lachte, als er meinte, die Lehrer würden sich weigern dahinzugehen, weil ihnen zu oft eine Schlange begegnet sei. Nur die Kinder seien noch mutig genug, trotzdem zu gehen. Ich habe nicht mitgelacht – ich musste mal. Dringend. Mir war klar, ins Auto einsteigen und weiterfahren bis zu einer besseren Gelegenheit ist keine Option. Bei den Schotterpisten und Schlaglöchern rumst und rumpelt es zu sehr, als dass man den Druck lange aushalten könnte. Irgendwo hinter einen Strauch sitzen ging auch nicht, es war keiner in Sichtweite. Also hin und hoffen, dass keine Schlange da ist. War auch nicht, dafür unzählige Fliegen, die über dem Donnerbalken (wirklich! Holzbalken über ein Loch gelegt!) herumschwirrten.

Bleibt also nur die freie Natur. Und da muss man mal wieder ganz klar feststellen, dass das für einen Mann leichter ist als für eine Frau. Wenn wir beispielsweise die fünf bis sechs Stunden von Nairobi nach Kisumu unterwegs sind und für eine Pinkelpause anhalten, stellt sich Joshua einen Meter hinters Auto und ist längst fertig, während ich noch das am Besten geeignete Gebüsch suche.  Nur um trotzdem Gefahr zu laufen, meinen weißen Hintern einem plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Kenianer zu präsentieren. Genauso ungeschickt: Wir fahren, auf einmal ist Nacht, und ich habe vergessen, dass ich nochmal wollte – und nun können wir nicht mehr am Straßenrand anhalten und aussteigen, weil das zu gefährlich wäre.  

Teeplantagen eignen sich hervorragend für wildes Pinkeln.

Das alles sind natürlich Extremsituationen. Es gibt durchaus schöne, saubere Klos in den Restaurants in der Stadt. Und manche Straßenränder haben die tollsten Gräben oder Büsche. Dann hat man aber kein „Wenn man mal muss“-Dilemma, und ich hätte kein Thema. Deswegen für alle anderen Fälle mein Fazit: Zuhause ist es eben doch am Schönsten!

Manicure: Zuhause in Ruhe sitzen
Helmet: Vorsichtshalber pinkeln gehen, wenn es irgendwo passt


In Kisumu konnte sich ein Barbesitzer nicht zwischen Sitz-  und Stehklo entscheiden.

Die zwei Damentoiletten in einem chinesischen Restaurant in Nairobi sind an sich eine gute Idee - aber eine Trennwand wäre schön gewesen.

Mittwoch, 14. September 2011

Unterwegs auf Reifengummi-Schlappen


Gestern fiel mir nach dem Besuch des Supermarkts in einem der großen, schicken Einkaufszentren Nairobis auf: Seit ich hier bin habe ich mir weder Schuhe, noch eine Hose, ein Shirt oder sonst ’ne Klamotte gekauft! Einzige Ausnahme: Zwei lange bunte Holzketten - die aber auch nur, weil sie eine Freundin von Joshua verkauft hat, die damit ihren Witwen-Lebensunterhalt aufbessert und sie angeblich von einem unterstützenswerten Frauen-im-Slum-Projekt bezieht. Gut, und abgesehen von den Möbeln und der Küchenausstattung, die wir für unsere Wohnung in Nairobi kaufen mussten. Eben, die mussten wir kaufen, das war also kein Shoppen im engeren Sinne.

Es stellt sich also zwingend die Frage, ob ich das ändern sollte oder nicht. Wenn, dann muss ich das ohne Joshua machen. Denke ich mal. Er würde bestimmt mitkommen, und er würde sicherlich auch zahlen (nachdem er den Preis um mindestens die Hälfte runtergehandelt hat, darin ist er unschlagbar). Andererseits will ich ja in Ruhe shoppen. Das klappt nicht so gut, wenn jemand kraftlos in der Ecke lehnt und mit diesem„biste-bald-fertig“-Blick müde schaut. Aber die Schwäbin kann halt nicht aus mir raus. Schon im Supermarkt kann ich lange verweilen und sämtliche Regale durchkämmen um den besten Preis für Spülmittel in einer trotzdem hübschen Flasche oder das absolut richtige Joghurt für mein Budget zu finden. Es ist ja auch egal, ob ich die paar Cent letztlich spare oder nicht, es macht einfach Spaß, den Einkauf maximal zu verlängern!

Meinen absoluten Rekord im Bereich „nicht einkaufen = kein Geld ausgeben“ habe ich letztes Jahr in den zwei Monaten im Sudan aufgestellt. Ganze 20 Euro bin ich da los geworden. Ein Teil ging anfangs für die obligatorischen Kopftücher drauf, der Rest gegen Ende für Honig und Gewürze als Mitbringsel und noch irgendeine Kleinigkeit. Mehr ging beim besten Willen nicht, und der gute Wille war wahrlich vorhanden.

Was mache ich jetzt? Ich habe aus meiner Schuh-Sammlung in Deutschland drei Paar Sandalen, einmal Flip-Flops, drei paar leichte Schühchen, schicke schwarze Hacken und ein Paar Trekking-Schuhe mitgebracht. Das reicht eigentlich völlig für das Klima hier (und auch überhaupt) aus. Mh. Aber vielleicht so ein klitzekleines Pärchen Sandälchen? In einer Farbe, die ich noch nicht habe? Verflixt, da fällt mir ein, Joshua hat mir vor ein paar Wochen diese so genannten Michelin-Slippers geschenkt. Die werden aus alten Reifen geschnitten, eine kuriose lokale Handwerkskunst. Gilt das als „ich war shoppen“? Vielleicht sollte ich mich auf was zum Anziehen verlegen. Dann laufe ich allerdings bei den hiesigen Second-Hand-Kleidermärkten Gefahr, die Blusen, die ich letztes Jahr per Altkleidercontainer entsorgt habe, wieder zurückzukaufen. Das bringt ja auch nichts. Ich denk nochmals drüber nach.

Manicure: Mehr als genug im Schrank haben
Helmet: Dafür dankbar sein

In der offenen Michelin-Werkstatt...
...werden die Schlappen aus den Reifen geschnitten.

Montag, 29. August 2011

Von schwarz und weiß und den vielen Farben dazwischen


Nach 86 Tagen schwarz-weiß mache ich mir so meine Gedanken über Farben. Mancher mag das politisch nicht korrekt finden, das ist völlig in Ordnung. Ich sag es jetzt mal wie es ist: Die Kenianer bezeichnen sich selbst als Schwarze. Weswegen sollte ich da einen verbalen Umweg machen? Was heißt überhaupt „Schwarzer“ – ich habe hier noch keinen gesehen, der dunkler als dunkelbraun ist. Und dass ich nicht weiß bin, ist offensichtlich, sobald ich mich gegen eine weiß getünchte Wand stelle. Als mich allerdings ein Kenianer als „pink“ beschrieb, fand ich das zugegebenermaßen auch seltsam. Ich bin eben irgendwie... hautfarben?

Schön ist auch, wie sich neulich ein Schwarzer (ich glaube, er ist genau genommen ein Afroamerikaner) köstlich darüber amüsierte, dass wir Weißen sie ja als Farbige bezeichnen würden. Dabei sind wir es, die so aussehen, als ob wir ständig mit einem Wasserfarbkasten hantieren würden! Blaue Flecken, violette Adern, roter Sonnenbrand – ja, wer ist denn hier farbig?

Eins der goldigen Schoko-Kinder aus der weitläufigen Verwandtschaft

Dagegen ist der kenianische Mais seltsam blass, fast weiß. Gelben Mais gibt es zwar auch vereinzelt, aber den mögen die Menschen nicht so gerne. Wenn ich ihnen erzähle, dass wir in Deutschland nur gelben Mais haben, den aber ohnehin ausschließlich die Kühe essen, gucken sie mich groß fragend an: Was denn die Menschen dann essen?

Mais aus Joshua's Ernte - lagert jetzt erstmal in unserem Lehmhaus 

Essen kann man sie ja leider nicht, aber wunderschön sehen sie aus: Die Rosen, die man an jeder Ecke in Hülle und Fülle und in allen Farben kaufen kann. Oder einfach nur bewundern. Die Natur und die Marktbuden am Straßenrand sind so wunderschön bunt. Bunt in allen Farben, und grün in allen Schattierungen. Es ist zurzeit morgens und abends kühl hier in Nairobi, manchmal ein wenig neblig, ab und zu Morgentau oder ein kurzer Regenschauer am Abend. Ganz anders als in weiten Teilen Kenias, die derzeit trocken und trostlos auf Regen warten. Wo die Menschen außer den staubigen, rissigen Kleidern und traditionellem Schmuck nichts Farbiges mehr an sich haben. 

Eigentlich wollte ich in diesem Beitrag nicht auf das Thema Hungerkatastrophe am Horn von Afrika eingehen. Eigentlich. Also tue ich es auch nicht. Aber es lässt sich auch nicht vermeiden, denn es ist da. Es ist echt, die Menschen haben Hunger. Und ich sitze hier im Sattgrünen. Immerhin, ich kann helfen. Darüber reden, daran arbeiten. Wie und was, das kann wer mag auf der Internetseite meines Arbeitgebers (humedica.org) nachlesen und bestimmt auch hier später einmal. Draußen ist jetzt dunkel, schwarze Nacht mit weiß funkelnden Sternen am Himmel. Die Farben verstecken sich. Und bedeuten mir, dass es Zeit ist, schlafen zu gehen.

Manicure: Morgen endlich eine Vase kaufen
Helmet: Herrlich bunte Blumen ins Wohnzimmer stellen

Sonntag, 31. Juli 2011

Mein Haus, mein Traktor, mein Schaf

Vor etwa zwei Wochen machte Joshua den Vorschlag, dass wir doch langsam anfangen könnten, Zuhause ein Haus zu bauen. „Langsam“ heißt: so bald wie möglich, „Zuhause“ heißt: auf dem väterlichen Gelände, „Haus“ heißt: Lehmhütte. Für einen Mann in Kenia, vor allem für einen Luo (Joshua’s Volksgruppe) ist es ausgesprochen wichtig, ein Haus „at home“ zu haben, auf der väterlichen Scholle. Dort ist Heimat, dorthin kann man immer zurück kommen.


Wir haben also flugs unseren Wunsch-Grundriss gezeichnet und das Budget kalkuliert. Ein paar Abende später haben wir zufällig einen Freund eines Freundes in der Bar getroffen, er ist Lehmhausbaumeister hat und bei einem bzw. für ein Bier alles nochmals durchgerechnet (günstige Angelegenheit, so ein Lehmhaus) und die richtigen Mengen an Material in meinem Notizbuch aufgelistet. Am Tag drauf ging es ans Bäume begutachten und fällen – das Holz für die tragenden Pfosten, dazu biegbare, aber feste Zweige für die Querverstrebungen. Ein Blick auf die Liste – was es noch braucht: Nägel, Sand, Schotter, Zement, Wellblech, Lehm, Dachbalken, Fenster, Türen. Das war’s eigentlich schon. Das kann locker alles mit unserem Traktor ins Heimatdorf Ahero transportiert werden. Dazu noch ein paar Arbeiter aus der Gegend. Früher haben die Nachbarn gemeinschaftlich gemanscht, innerhalb eines Tages stand die Hütte, und zur Feier des Tages konnte dann das eigens geschlachtete Schaf verzehrt werden. Heute kommt das Dorf immer noch zusammengelaufen – allerdings nur für den zweiten Teil. Wir haben also einige junge Leute angestellt, die unsere angeblich großen 41 qm (plus 6 qm Terrasse) in 4 Tagen aufgebaut und mit einem Dach, Fenster und Türen versehen haben. Ich habe natürlich mit angepackt – beim Matsch schichten, beim Fenster gerade rücken (das Augenmaß kenianischer Bauarbeiter ist irgendwie schräg), und bei der Versorgung der Mannschaft mit Essen. Wie es Tradition ist, haben wir gleich die allererste Nacht nach Baubeginn im neuen Heim verbracht – mit provisorischem Dach, Lagerfeuer im Wohnzimmer und Wellblech vor den noch offenen Türen und Fenstern. In den kommenden Tagen wird noch das Plumpsklo samt Freiluft-Dusche gebaut, eine Stromleitung vom Nachbar rübergezogen und die Wasserleitung bis zum Haus verlängert. Die Einrichtung ist größtenteils vorhanden, ein altes Sofa, ein Bett, eine Kommode, Geschirr, ein Gaskocher - das reicht für’s erste.

Der Traktor bringt Pfosten und Fitos...
...und wir matschen schwungvoll die ersten Lehmbatzen ans Haus.

Was vom Schafe übrig blieb... und das wurde am nächsten Tag auf dem Grill geröstet und geknuspert.

Mal sehen, wie viel Zeit wir letztlich dort verbringen, schließlich sind wir nur 25 km entfernt in Kisumu eingerichtet. Aber so als Wochenenddomizil im Grünen ist es sehr schön. Deswegen wollte ich wenn schon, denn schon wenigstens auch eine sogenannte Banda vorm Haus haben, damit ich das Urlaubsgefühl auf dem Lande voll auskosten kann. Eine Banda ist eine ringsum offene Rundhütte mit einem Grasdach, wie man sie am Strand oft sieht. Die bauen wir nun als nächstes. Und mit Sicherheit werde ich dort meine Hängematte aufhängen. Da schaukle ich dann, Josh bringt mir gegen Abend einen Drink und ich schaue zu, wie die Sonne am fernen Ende unseres Grundstücks glutrot im afrikanischen Busch versinkt...

Manicure: Füße und Seele in der Hängematte baumeln lassen
Helmet: Trägt kein Mensch auf einer Lehmbaustelle


Die stolzen Bauherren vor ihrer Hütte - das erste Stück Wellblech liegt auf dem Dach. Inzwischen ist es komplett, und Türen und Fenster sind eingesetzt - Foto folgt bei Gelegenheit!

Donnerstag, 30. Juni 2011

Überlebens-1-2-3

Das Leben in Kenia – wahrscheinlich in ganz Afrika – kann wunderbar sein, wenn man ein paar einfache Verhaltensregeln befolgt. Ich habe meine Top Ten der ersten 25 Tage in loser Reihenfolge zusammengestellt:

Immer was gegen Langeweile dabei haben
Eins ist sicher: Egal, wann man verabredet ist oder wie lange eine Fahrt, eine Tätigkeit oder ein Treffen dauern soll – es wird immer länger dauern und später werden. Aufregen und antreiben bringt absolut nichts (außer einem unverständigen Blick), also hat man besser überall zu jeder Zeit ein Sudoku, eine Zeitung oder doch zumindest einen ipod dabei.



Timing ist alles
Die Uhren ticken anders hier. Wenn dir einer sagt, er ist schon unterwegs und in spätestens 5 Minuten am Treffpunkt, schenk dir getrost noch nen Kaffee ein, geh einkaufen oder zum Friseur. Minuten sind ausgesprochen dehnbar, und niemand ist böse, wenn man sich verspätet. Schließlich ist warten auch ne super Tätigkeit, siehe oben.


Beim Tanken Augen starr auf  die Zapfsäule richten
Wenn irgend möglich, versucht der kenianische Tankstellenangestellte sich einen kleinen Zusatzverdienst zu sichern. Das klappt prima, indem man ihn für 1000 Schilling auffüllen lässt, er aber nur für 950 Benzin pumpt und den Rest einsteckt. Also immer schön den Tankometer im Auge behalten. Der Tankstellenkollege oder -Kumpel, der sich unauffällig zwischen Zapfsäule und Auto schiebt, ist gnadenlos und unbedingt zu vertreiben.


Flashen ist cooler als anrufen
Eine Minute prepaid mobil telefonieren kostet hier 3 Schilling, das sind etwa 3 Cent. Wer das nötige Kleingeld nicht hat, flasht einfach seinen Gesprächspartner an und kann damit rechnen, innerhalb von Minuten einen Rückruf zu erhalten. Die Kosten für das Gespräch trägt damit logischerweise der andere. Praktisch.

Fleisch ist mein Gemüse
Du willst als Vegetarier in Kenia glücklich werden? Vergiss es. Eine Mahlzeit ohne Fleisch oder wenigstens Fisch ist keine richtige Mahlzeit. Das gilt für Mittag- und Abendessen. Jeden Tag. Das einzige Gemüse, das gerne und häufig serviert wird, ist Sukumawiki, ein fades Grünzeug zwischen Spinat und Grünkohl. Es heißt so, weil es die ganze Woche (wiki) reichen muss, und wird schon am zweiten Tag langweilig. Wer Heiterkeit erzielen möchte, fragt in den kleinen lokalen Bars und Restaurants nach vegetarischen Gerichten und hat die Lacher auf seiner Seite.



Jambo, mein Freund und Bruder! 
Das Adressbuch von Kenianern ist unermesslich groß. Für alles und jedes kann man einen Freund anrufen, der einen Cousin oder Onkel hat, der jemand kennt... Auch auf der Straße trifft man immer wieder alte Bekannte, seit Jahren ist man eng befreundet – was aber nicht zwingend heißt, dass man sich an den Namen erinnern muss. Es gibt einfach zu viele Freunde und Verwandte.

Wer ein Wort Kiswahili oder Luo spricht, hat gewonnen
Unglaublich, wie sich die Leute auf dem Land freuen, wenn man in Landes- oder Stammessprache auf „Wie geht’s?“ ein „Gut!“ antworten kann und dann noch durch den Übersetzer ausrichten lässt, dass man Kenia super findet! Da bebt die Hütte!

Malaria unbedingt vermeiden
Während es zig Europäer schaffen, über Jahre ohne Malaria in Kenia zu leben, hat es mich das zweite Mal nach 10 Tagen im Land erwischt. Die gängigen Vorsichtsmaßnahmen halte ich ein: Prophylaxe, Moskitonetz, lange Klamotten am Abend, Anti-Mücken-Spray, alle Moskitos im Raum vor dem ins-Bett-gehen erschlagen. Dafür bin ich jetzt quasi Profi im „Malaria im frühesten Stadium erkennen“ und kann entsprechend reagieren. Das reduziert die Leidenszeit auf 1-2 Tage ratzeübel und schachmatt.


Erst rechts, dann links, dann wieder rechts
In Kenia ist Linksverkehr. Daran gewöhnt man sich schnell. Was etwas länger dauert, aber lebensnotwendig ist, ist die Einsicht, dass hier definitiv der Stärkere Recht hat. Je größer und robuster das Fahrzeug, desto wilder und rücksichtsloser die Fahrweise. Will man als Fußgänger über die Straße, hat man selbst an Ampeln keine andere Wahl, als wie ein Hase über die Fahrbahn zu rennen. Die Farben rot und grün leuchten rein zu Dekorationszwecken. Und wenn der Kenianer auch sonst immer viel, viel Zeit hat - hinter'm Steuer ändert sich das schlagartig, da gilt nur noch Geschwindigkeit! 

Pilsner barridi
Es ist heiß, die Kehle ist trocken – Zeit für ein kaltes Getränk. Und das ist ganz wichtig: Immer dazu sagen, dass man seine Cola, sein Bier oder Wasser kalt (barridi) haben will! Sonst kommt es garantiert zimmerwarm daher, wie es die Mehrheit der Kenianer liebt. Anscheinend stillt es so den Durst besser. Wofür gibt es denn dann Kühlschränke, meistens auch Strom? Warme Cola und erst recht warmes Bier schmeckt doch einfach gruselig. Wobei - mein Opa trank sein Bier auch gestaucht. Irgendwas muss dran sein.


Manicure: Kenia und die Kenianer lieben, wie sie sind
Helmet: Die eine oder andere Eigenwilligkeit einfach weglachen


Der Kenianer, den ich am allermeisten liebe!
(auf dem Dach des Kenyatta International Conference Center in Nairobi)

Freitag, 10. Juni 2011

Berlin - Ruit - Nairobi


Ich bin da! Ich bin in Kenia angekommen, nach einer herrlich ereignislosen Reise. Dafür waren die Wochen davor reichlich bewegt. Nach meiner Rückkehr aus den USA habe ich im Mai das Leben in Berlin in vollen Zügen genossen, vor allem die Menschen, die mir in Berlin lieb und wichtig sind. Nebenbei habe ich meine Wohnung aufgelöst. Wovon ich mich trennen konnte, und was ich irgendwie loswerden konnte, hat im Laufe des Monats Stück für Stück meine Wohnung verlassen. Ein großartiges Gefühl! Fahrräder, Sofa, Ice-Crusher, Suppenkelle, Vorhänge, Kühlschrank – tschüssi! Nicht-Besitz macht leicht und frei! Der Rest (wahrscheinlich immer noch zuviel) hat in einen Sprinter gepasst, den ich gemeinsam mit meinem Vater von Berlin nach Ruit gefahren habe. Zehn Jahre Leben in der eigenen Wohnung, gestapelt im elterlichen Keller.

Zwischenstopp in Ruit: Ein ganz anderer Film. Eben immer noch Heimat, vertraut, es ist einfach, da anzukommen und zu sein. Gleichzeitig räumlich ver-rückt, denn meine Schwester war mit ihrer Familie da, dabei hatten wir doch gerade noch in einer Art WG in Salt Lake City gewohnt! Genauso schön und irgendwie zeitlich ver-rückt: Mit den Sandkasten- und Schulfreunden von früher wieder im Sandkasten sitzen (jetzt der ihrer Kinder) und mit nem Bier in der Hand über alte Zeiten plaudern. 

Am Montag sind wir mit dem Auto von Nairobi nach Kisumu gefahren. Und nun bin ich hier, in Kisumu, genauer gesagt in Mamboleo (Joshua’s Kiez), und ruckizucki eingetaucht in das afrikanische Leben. Eben hat Joshua mich gerufen, ich soll mit ihm vor den Fernseher sitzen. Er schaut eine bekannte kenianische Comedy und lacht sich schlapp. Leider hat er wohl kurzzeitlich verdrängt, dass ich seit meiner Ankunft vor drei Tagen immer noch kein Kiswahili spreche und die Späße des Komikers deswegen nur begrenzt verstehe und noch begrenzter lustig finde. Auch gut, kann ich nebenbei Geschichten aufschreiben! Oder vielmehr den Status Quo beschreiben, den wir hier im Haus haben. Erste und einzige Bedingung für mein Herkommen war: Ich will fließend Wasser, und zwar Warmes! Und mit fließend meine ich jederzeit fließend, nicht nur sporadisch, falls die Wasserwerke Lust und Wasser haben. Das hat sich der Hausherr zu Herzen genommen. Es gibt tatsächlich fließend Warmwasser (aus dem Duschkopf, den ich bereits letzte Weihnachten importiert habe). Und von dem Huhn, das kürzlich in die Zisterne gefallen war und da eine Woche vor sich hingerottet hat, ist glücklicherweise nichts mehr zu riechen. Stattdessen gibt es ein junges Kätzchen im Haus. Das mag ich ja eigentlich nicht, aber das Argument, dass die Kleine uns die Kakerlaken und die Ratten vom Hals hält, hat mich überzeugt (welche Läuse sie stattdessen einschleppt, möchte ich nicht wissen). Hello Kitty ist rötlich gestreift und darf definitiv nicht ins Schlafzimmer oder in die Nähe meiner Beine. Was noch... Am ersten Tag habe ich die Küche auseinandergenommen und neu organisiert, am zweiten folgte das Schlafzimmer, und gestern wollten wir eigentlich mit dem Wohnzimmer weitermachen. Aber vielleicht ist ein Tag Pause ganz okay. Wir haben schon dreimal frischen Fisch aus und am Viktoriasee gegessen, und davon abgesehen gibt es selbstredend zweimal täglich Fleisch (nein, nicht für mich!), vorzugsweise direkt vom Knochen abgenagt. Und das Wichtigste habe ich mir für den Schluss aufbewahrt: Ich bin schlicht glücklich, bei Joshi zu sein, und wir genießen das Leben. Zugegebenermaßen lassen wir es im Moment noch etwas urlaubshaft verwöhnend angehen, aber was soll’s, ich bleib ja! 

Manicure: Tilapia und Tuskers (Viktoriasee-Fisch und lokales Bier)
Helmet: Auf taub stellen, wenn mal wieder jemand mit ergreifend klarer Erkenntnis feststellt, dass ich „mzungu“ (weiß) bin und mir das zu- und hinterher ruft. Ich habe mir
vorgenommen, zukünftig mit „raten’g“ (schwarz) zu antworten.


Mein neues Zuhause - Bilder vom Innenleben und den Bewohnern folgen!

Blick auf Kisumu und den Viktoriasee

Hello Kitty!

Freitag, 1. April 2011

Die Haustante

Seit vier Wochen bin ich in den USA bei meiner Schwester und ihrer Familie, und seit zwei Wochen rätsele ich, über was ich denn mal wieder schreiben könnte. Es ist ja nicht so, als ob man als stay at home auntie (alias Supernanny) mit vier Nichten unter vier und einem Hund keinen interessanten Input bekommen würde. Ganz im Gegenteil. Lustiges und philosophisches ist darunter. Manchmal vermischt sich auch beides, wild und quirlig. Zum Beispiel, wenn die beiden Großen ihre jeweiligen Wahrheiten kund tun. Lily (4 Jahre alt) war neulich beim Frühstück mächtig angekratzt, weil das Weißbrot aus war. Ihre spontan erdachte und geäußerte Wahrheit: „Gott hat gemacht, dass wir weißes Brot zum Frühstück essen, und Jesus hat gemacht, dass wir braunen Toast zum Lunch haben. Gott ist jetzt sehr traurig, weil es kein weißes Brot gibt.“ Okay... Und Mia (2 Jahre alt), zitiert immer dann, wenn ihr es passt, entweder Mama oder Papa. Ein Beispiel ihrer Wahrheiten, wenn ich mal wieder versuche, unauffällig ihren Schnuller beiseite zu legen: „Papa sagt, Mia Binky! (=Schnuller)“. Aha. Dabei versuchen wir doch gerade, ihr das Dauergenuckel ein wenig abzugewöhnen? Ganz so wortreich ist es bei den beiden Jüngsten nicht. Die fünf Wochen alten Zwillinge konzentrieren sich noch voll aufs nuckeln und pupsen. Und das soll man ja nicht persönlich nehmen und nicht allzuviel hineininterpretieren. 

Wenn die großen Fragen des Lebens geklärt sind, spielen, basteln, lesen, kuscheln, quatschen, albern wir. Dann Bücherei, Zoo, Kindersport, ..., Starbucks! Heute gab es strahlenden Sonnenschein (endlich! Der Himmel über Salt Lake City hatte bisher viel zu viele Schnee- und Regenwolken!), und Lily hat eine exklusive Live-Show im Garten gegeben, die es in sich hatte. Bob the Builder, Utah Gymnastics, Kindergartenlied A-too-di-ta, Dora the Explorer – alle in einen großen Auftritt gepackt! Grandios! (In 'ne Abendvorstellung im Theater schaffen wir es ja leider derzeit nicht, und mit meiner Fremd-Stilldemenz und -Müdigkeit würde ich vermutlich ohnehin nicht viel mitkriegen.) Und wenn ich dann noch eine spontane monsterdicke Kinderumarmung bekomme, ist doch alles Gezeter ob hundertfach umgeschmissenen Saftbechern, Schwester hauen oder nicht, Regenstiefel oder Turnschuh, Brot längs oder quer geschnitten ganz fix vergessen.

Ach was, was brauch ich groß schreiben. Ich bin glücklich hier, und glückliche Menschen brauchen keine großen Geschichten.

Manicure: Kinderquatsch und Kinderliebe
Helmet: Vor Atompupsis in Deckung gehen

In Auntie's Bett
Mit Tante Katja den Affen machen...
...und zu Starbucks gehen.

Donnerstag, 10. März 2011

Konfetti aufm Koffer

Als letztes Frühjahr die Aschewolke über Europa herabregnete und im Winter die Welt im Schnee versank, waren sich die Leute einig: Man sollte einfach nicht reisen oder nicht reisen müssen. Oder zumindest nicht fliegen. Besser wäre es, Zuhause zu bleiben. Fand ich auch. Ich bin dann aber letzte Woche doch mal wieder die 20 Stunden zu meiner Schwester gereist. Berlin – New York – Salt Lake City. Jeweils pünktlich abgeflogen und angekommen, das Gepäck ohne Verluste dabei, meine größten Sitzplatzwünsche (Gang und keinen überdimensionalen Ami auf dem Sitz neben mir) erfüllt. Eine Reise ohne Zwischenfälle. Auch mal schön.

Da bleibt Zeit, unterwegs auf andere Kleinigkeiten zu achten. Zum Beispiel auf die Füße der Mitreisenden. Auf amerikanischen Flughäfen ist die Flip-Flop-Dichte enorm. Das ist unabhängig von der Jahreszeit, bei Minusgraden wird die Schlappe gerne mal mit einem warmen Mantel getoppt. Alternativ zur Plastiksandale natürlich der Turnschuh, kombiniert mit einem Samt-Jogginganzug. International zu beobachten ist inzwischen die Koffer-Deko, wobei ich mal tippen würde, dass wir Deutschen da ganz vorne mit dabei sind: fröhliche Reisende versehen ihr gutes Stück mit einem Bändel. Um ein bisschen pfiffig-individuell zu sein (vermute ich, denn ansonsten gleicht ja ein Rollkoffer dem anderen in Farbe, Form und Funktion) und um bei der Gepäckausgabe als Allererster den eigenen Koffer vom Band schnappen zu können. Dafür ist auch die breitbeinige und –schultrige Position ganz dicht am Gepäckband wichtig. Auch wenn man den eigenen Koffer nicht findet, hält das zumindest die Mitreisenden davon ab, ihren zu finden. Und was den Bändel angeht, da sieht man ja alles: vom fein säuberlich gekräuselten Geschenkband über Omas Wollreste bis hin zu unkaputtbarer Segelschnur (signalisiert auch den Abenteurer in Abgrenzung zum Geschenkband-Pauschaltouristen). Alternativ dazu gibt es Sticker. Sehr fantasielos: Buchstaben für die Initialen des Besitzers. Schon netter waren da die Konfettisticker, die sich ein Passagier kunterbunt über den ganzen Koffer geklebt hatte. Früher war ein Kleber auf dem Koffer ja noch was Faszinierendes. Der Kleber hatte die Aufgabe, das Reiseziel anzuzeigen und damit anzugeben, wo der Besitzer schon überall war. Paris! New York! Panama! Heute findet man höchstens noch einen „Stuttgart-21“-Bäpper.

Nach wie vor faszinierend, verwirrend und ärgerlich zugleich bei Reisen um die halbe Welt: Die Zeitverschiebung. Warum fliege ich mit Zwischenaufenthalt insgesamt 20 Stunden, bin aber nur von 12 Uhr bis 23 Uhr unterwegs und kann dann trotzdem nicht schlafen?

Manicure: Von rechts nach links fliegen
Helmet: Von oben nach unten fliegen

Freitag, 14. Januar 2011

Über die Zeit

Wir haben uns jetzt darauf verständigt, Joshua und ich, in Zweifelsfällen zwischen „German Time“ und „African Time“ zu unterscheiden. German Time heißt, wir halten uns halbwegs an die Uhrzeit oder den Wochentag, den wir verabredet haben. African Time heißt alles oder nichts....

„There is no hurry in Africa.“ Eile gibt es in Afrika nicht. Das ist gar nicht so leicht zu lernen. Jedenfalls nicht für mich. Zum Beispiel an Weihnachten. Ich war über Weihnachten und Neujahr bei Joshua in Kenia. Wir hatten Freunde eingeladen zum Grillen, Partybeginn 17 Uhr. Gut, auch in Berlin heißt das ne Stunde später. In Kenia meint das 20 Uhr. Was in dem Fall ganz praktisch war, denn wir waren nicht fertig mit den Vorbereitungen. Warum auch, eilt ja nicht! Als es dann aber auf 22 Uhr zuging und wir immer noch kein Essen aufm Tisch hatten, wurde ich doch so langsam nervös (hungrig wie ein Wolf war ich schon längst). Das hat aber niemanden außer mich gestört. War ja auch sonst kein Deutscher da. Mein schwäbisch-badisches Hausfrauenherz ließ sich nur dadurch besänftigen, dass wir Berge an Essen hatten (um genau zu sein eine komplette Ziege und zwei Hühner aufm Grill) und die Gäste letztlich sogar noch was mit nach Hause nehmen konnten bzw. mussten. Schade nur, dass wir keine Tupperdösle im Haus hatten ;-)
(Und es war auch mit oder trotz spätem Essen eine wirklich schöne, fröhliche Gartenparty!)

(Fotos von Weihnachten gibt es leider nicht. Meine Kamera wurde geklaut, Joshuas auch, zusammen mit allem anderen was Wert hat. Das ist wirklich schade. Ich hätte euch zu gerne den Christbaum gezeigt, den unser Nachbar für mich aus irgendwelchen Zweigen in einem Pott zusammengesteckt hat und den wir dann liebevoll mit aus Deutschland importierten roten Holzsternen und weißen Filzelchen dekoriert haben.)

So richtig nervig wird African Time, wenn man in nem knallheißen ungelüfteten Bus in der Sonne sitzt, der um 12 Uhr losfahren soll, aber auch um 13 Uhr noch keine Anstalten macht, wenigstens schon mal den Motor anzulassen. Info zur Lage gibt es keine, niemand außer mir hat es eilig, loszufahren. Wobei, irgendwie erinnert das an die Heimat, in der Bahn passiert mir das schließlich auch. Mit dem Unterschied, dass es da alle eilig haben mit der Abfahrt und wissen wollen, was genau denn nun das "technische Problem" ist!

African Time hat aber auch seine guten Seiten: Man kann sich in Ruhe um Freunde kümmern, auch wenn alles drunter und drüber geht. Man kann entspannt einen Kaffee am Morgen oder ein Bier am Abend trinken, auch wenn man seit 5 Minuten weg sein sollte. Man schafft es locker auf Termine, die vor einer Stunde oder gestern stattfanden. Hakuna matata!

Manicure: Die Zeit nach African Timing vertreiben
Helmet: Locker bleiben, wenn die deutsche Uhr tickt!

You are very beautiful! She is beautiful!

Ich kann diesen Satz nicht mehr hören. Das hätte ich auch nicht gedacht, dass es mir mal zuviel werden würde, Komplimente zu bekommen. Das Problem ist, dass dieses Kompliment immer exakt gleich formuliert ist, mir von wildfremden Frauen und Männern in Kenia beim ersten Kennenlernen anerkennend ins Gesicht gesagt wird oder man mir hinterher berichtet, dass alle Männer am Biertresen sich einig waren, wie beautiful ich doch sei. Das will ich aber gar nicht, weil mal ganz ehrlich, das stimmt einfach nicht!

Jedenfalls nicht nach unserem westlichen Schönheitsideal. Das afrikanische Casting läuft anders ab. Du hast ein breites, gebärfähiges Becken und Hüften mit kräftigen Oberschenkeln, aber dennoch eine schlanke Taille und einen auch ansonsten schlanken Körperbau? Bingo! Du bekommst ein Foto!

Hüft- und Hinternabgleich mit Joshs Schwägerin: Ausbaufähig, aber durchaus mit Potenzial

Da fließt nicht mal meine vergleichsweise vornehme Blässe oder das möchtegernblonde Haar mit in die Bewertung ein. Einerseits ist es ja eine große Erleichterung, sich um die paar Kilo hin oder her und die paar Dellen auf Halbhöhe keine Gedanken mehr machen zu müssen. Ganz im Gegenteil, zu wissen, gerade die sind geliebt, ist wunderbar! Aber ich möchte doch bitte nicht ständig daran erinnert werden! Seit ich 15 bin frage ich mich, warum mir meine Mutter ausgerechnet die Hüften vererbt hat!

Nun gut, ich lerne noch mehr als in den letzten Jahren in Berlin, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Und in Berlin läuft nun wirklich einiges Kurioses auf der Straße herum, wonach sich kein Mensch umdreht. Ich bin ja schon rebellisch-stolz darauf, am Morgen in Jogginghose und ungeschminkt zum Bäcker zu gehen. Das hätte ich in Stuttgart nie gewagt! Und nun bin ich so frei und lasse in Kenia im Mini die Hüften schwingen und scher mich nicht drum, wer das wie klumig findet. Beautiful!

Manicure: Alles was glücklich macht und direkt auf die Hüften rutscht
Helmet: Den Schmeichlern Glauben schenken