Donnerstag, 30. Juni 2011

Überlebens-1-2-3

Das Leben in Kenia – wahrscheinlich in ganz Afrika – kann wunderbar sein, wenn man ein paar einfache Verhaltensregeln befolgt. Ich habe meine Top Ten der ersten 25 Tage in loser Reihenfolge zusammengestellt:

Immer was gegen Langeweile dabei haben
Eins ist sicher: Egal, wann man verabredet ist oder wie lange eine Fahrt, eine Tätigkeit oder ein Treffen dauern soll – es wird immer länger dauern und später werden. Aufregen und antreiben bringt absolut nichts (außer einem unverständigen Blick), also hat man besser überall zu jeder Zeit ein Sudoku, eine Zeitung oder doch zumindest einen ipod dabei.



Timing ist alles
Die Uhren ticken anders hier. Wenn dir einer sagt, er ist schon unterwegs und in spätestens 5 Minuten am Treffpunkt, schenk dir getrost noch nen Kaffee ein, geh einkaufen oder zum Friseur. Minuten sind ausgesprochen dehnbar, und niemand ist böse, wenn man sich verspätet. Schließlich ist warten auch ne super Tätigkeit, siehe oben.


Beim Tanken Augen starr auf  die Zapfsäule richten
Wenn irgend möglich, versucht der kenianische Tankstellenangestellte sich einen kleinen Zusatzverdienst zu sichern. Das klappt prima, indem man ihn für 1000 Schilling auffüllen lässt, er aber nur für 950 Benzin pumpt und den Rest einsteckt. Also immer schön den Tankometer im Auge behalten. Der Tankstellenkollege oder -Kumpel, der sich unauffällig zwischen Zapfsäule und Auto schiebt, ist gnadenlos und unbedingt zu vertreiben.


Flashen ist cooler als anrufen
Eine Minute prepaid mobil telefonieren kostet hier 3 Schilling, das sind etwa 3 Cent. Wer das nötige Kleingeld nicht hat, flasht einfach seinen Gesprächspartner an und kann damit rechnen, innerhalb von Minuten einen Rückruf zu erhalten. Die Kosten für das Gespräch trägt damit logischerweise der andere. Praktisch.

Fleisch ist mein Gemüse
Du willst als Vegetarier in Kenia glücklich werden? Vergiss es. Eine Mahlzeit ohne Fleisch oder wenigstens Fisch ist keine richtige Mahlzeit. Das gilt für Mittag- und Abendessen. Jeden Tag. Das einzige Gemüse, das gerne und häufig serviert wird, ist Sukumawiki, ein fades Grünzeug zwischen Spinat und Grünkohl. Es heißt so, weil es die ganze Woche (wiki) reichen muss, und wird schon am zweiten Tag langweilig. Wer Heiterkeit erzielen möchte, fragt in den kleinen lokalen Bars und Restaurants nach vegetarischen Gerichten und hat die Lacher auf seiner Seite.



Jambo, mein Freund und Bruder! 
Das Adressbuch von Kenianern ist unermesslich groß. Für alles und jedes kann man einen Freund anrufen, der einen Cousin oder Onkel hat, der jemand kennt... Auch auf der Straße trifft man immer wieder alte Bekannte, seit Jahren ist man eng befreundet – was aber nicht zwingend heißt, dass man sich an den Namen erinnern muss. Es gibt einfach zu viele Freunde und Verwandte.

Wer ein Wort Kiswahili oder Luo spricht, hat gewonnen
Unglaublich, wie sich die Leute auf dem Land freuen, wenn man in Landes- oder Stammessprache auf „Wie geht’s?“ ein „Gut!“ antworten kann und dann noch durch den Übersetzer ausrichten lässt, dass man Kenia super findet! Da bebt die Hütte!

Malaria unbedingt vermeiden
Während es zig Europäer schaffen, über Jahre ohne Malaria in Kenia zu leben, hat es mich das zweite Mal nach 10 Tagen im Land erwischt. Die gängigen Vorsichtsmaßnahmen halte ich ein: Prophylaxe, Moskitonetz, lange Klamotten am Abend, Anti-Mücken-Spray, alle Moskitos im Raum vor dem ins-Bett-gehen erschlagen. Dafür bin ich jetzt quasi Profi im „Malaria im frühesten Stadium erkennen“ und kann entsprechend reagieren. Das reduziert die Leidenszeit auf 1-2 Tage ratzeübel und schachmatt.


Erst rechts, dann links, dann wieder rechts
In Kenia ist Linksverkehr. Daran gewöhnt man sich schnell. Was etwas länger dauert, aber lebensnotwendig ist, ist die Einsicht, dass hier definitiv der Stärkere Recht hat. Je größer und robuster das Fahrzeug, desto wilder und rücksichtsloser die Fahrweise. Will man als Fußgänger über die Straße, hat man selbst an Ampeln keine andere Wahl, als wie ein Hase über die Fahrbahn zu rennen. Die Farben rot und grün leuchten rein zu Dekorationszwecken. Und wenn der Kenianer auch sonst immer viel, viel Zeit hat - hinter'm Steuer ändert sich das schlagartig, da gilt nur noch Geschwindigkeit! 

Pilsner barridi
Es ist heiß, die Kehle ist trocken – Zeit für ein kaltes Getränk. Und das ist ganz wichtig: Immer dazu sagen, dass man seine Cola, sein Bier oder Wasser kalt (barridi) haben will! Sonst kommt es garantiert zimmerwarm daher, wie es die Mehrheit der Kenianer liebt. Anscheinend stillt es so den Durst besser. Wofür gibt es denn dann Kühlschränke, meistens auch Strom? Warme Cola und erst recht warmes Bier schmeckt doch einfach gruselig. Wobei - mein Opa trank sein Bier auch gestaucht. Irgendwas muss dran sein.


Manicure: Kenia und die Kenianer lieben, wie sie sind
Helmet: Die eine oder andere Eigenwilligkeit einfach weglachen


Der Kenianer, den ich am allermeisten liebe!
(auf dem Dach des Kenyatta International Conference Center in Nairobi)

Freitag, 10. Juni 2011

Berlin - Ruit - Nairobi


Ich bin da! Ich bin in Kenia angekommen, nach einer herrlich ereignislosen Reise. Dafür waren die Wochen davor reichlich bewegt. Nach meiner Rückkehr aus den USA habe ich im Mai das Leben in Berlin in vollen Zügen genossen, vor allem die Menschen, die mir in Berlin lieb und wichtig sind. Nebenbei habe ich meine Wohnung aufgelöst. Wovon ich mich trennen konnte, und was ich irgendwie loswerden konnte, hat im Laufe des Monats Stück für Stück meine Wohnung verlassen. Ein großartiges Gefühl! Fahrräder, Sofa, Ice-Crusher, Suppenkelle, Vorhänge, Kühlschrank – tschüssi! Nicht-Besitz macht leicht und frei! Der Rest (wahrscheinlich immer noch zuviel) hat in einen Sprinter gepasst, den ich gemeinsam mit meinem Vater von Berlin nach Ruit gefahren habe. Zehn Jahre Leben in der eigenen Wohnung, gestapelt im elterlichen Keller.

Zwischenstopp in Ruit: Ein ganz anderer Film. Eben immer noch Heimat, vertraut, es ist einfach, da anzukommen und zu sein. Gleichzeitig räumlich ver-rückt, denn meine Schwester war mit ihrer Familie da, dabei hatten wir doch gerade noch in einer Art WG in Salt Lake City gewohnt! Genauso schön und irgendwie zeitlich ver-rückt: Mit den Sandkasten- und Schulfreunden von früher wieder im Sandkasten sitzen (jetzt der ihrer Kinder) und mit nem Bier in der Hand über alte Zeiten plaudern. 

Am Montag sind wir mit dem Auto von Nairobi nach Kisumu gefahren. Und nun bin ich hier, in Kisumu, genauer gesagt in Mamboleo (Joshua’s Kiez), und ruckizucki eingetaucht in das afrikanische Leben. Eben hat Joshua mich gerufen, ich soll mit ihm vor den Fernseher sitzen. Er schaut eine bekannte kenianische Comedy und lacht sich schlapp. Leider hat er wohl kurzzeitlich verdrängt, dass ich seit meiner Ankunft vor drei Tagen immer noch kein Kiswahili spreche und die Späße des Komikers deswegen nur begrenzt verstehe und noch begrenzter lustig finde. Auch gut, kann ich nebenbei Geschichten aufschreiben! Oder vielmehr den Status Quo beschreiben, den wir hier im Haus haben. Erste und einzige Bedingung für mein Herkommen war: Ich will fließend Wasser, und zwar Warmes! Und mit fließend meine ich jederzeit fließend, nicht nur sporadisch, falls die Wasserwerke Lust und Wasser haben. Das hat sich der Hausherr zu Herzen genommen. Es gibt tatsächlich fließend Warmwasser (aus dem Duschkopf, den ich bereits letzte Weihnachten importiert habe). Und von dem Huhn, das kürzlich in die Zisterne gefallen war und da eine Woche vor sich hingerottet hat, ist glücklicherweise nichts mehr zu riechen. Stattdessen gibt es ein junges Kätzchen im Haus. Das mag ich ja eigentlich nicht, aber das Argument, dass die Kleine uns die Kakerlaken und die Ratten vom Hals hält, hat mich überzeugt (welche Läuse sie stattdessen einschleppt, möchte ich nicht wissen). Hello Kitty ist rötlich gestreift und darf definitiv nicht ins Schlafzimmer oder in die Nähe meiner Beine. Was noch... Am ersten Tag habe ich die Küche auseinandergenommen und neu organisiert, am zweiten folgte das Schlafzimmer, und gestern wollten wir eigentlich mit dem Wohnzimmer weitermachen. Aber vielleicht ist ein Tag Pause ganz okay. Wir haben schon dreimal frischen Fisch aus und am Viktoriasee gegessen, und davon abgesehen gibt es selbstredend zweimal täglich Fleisch (nein, nicht für mich!), vorzugsweise direkt vom Knochen abgenagt. Und das Wichtigste habe ich mir für den Schluss aufbewahrt: Ich bin schlicht glücklich, bei Joshi zu sein, und wir genießen das Leben. Zugegebenermaßen lassen wir es im Moment noch etwas urlaubshaft verwöhnend angehen, aber was soll’s, ich bleib ja! 

Manicure: Tilapia und Tuskers (Viktoriasee-Fisch und lokales Bier)
Helmet: Auf taub stellen, wenn mal wieder jemand mit ergreifend klarer Erkenntnis feststellt, dass ich „mzungu“ (weiß) bin und mir das zu- und hinterher ruft. Ich habe mir
vorgenommen, zukünftig mit „raten’g“ (schwarz) zu antworten.


Mein neues Zuhause - Bilder vom Innenleben und den Bewohnern folgen!

Blick auf Kisumu und den Viktoriasee

Hello Kitty!