Freitag, 27. September 2013

Wenn ich morgen aufwache


Und wenn ich morgen aufwache, war alles nur ein Traum. Die Handys liegen auf dem Tisch, die Spiegelreflexkamera ruht im Schrank, meine Handtasche hängt über ihrem Lieblingsstuhl und Joshua’s Computer steht wie immer auf dem Wohnzimmertisch im Weg. Die Platzwunde an meiner Stirn ist einfach nicht da. Wenn wir losgehen, packe ich Liam’s Wickeltasche mit Stoffwindeln und Lieblingsspielzeug.

Das hat leider nicht geklappt. Ich taste nach meiner Stirn, und da ist eine ordentliche Schwellung. Alle unsere Wertsachen und die nicht so wertvollen, aber sehr liebgewonnenen Dinge sind weg. Wir sind ausgeraubt worden. Wie im Film, zwei Typen auf einem Motorrad mit vorgehaltener Knarre. Gegen 21 Uhr sind wir von einem Besuch bei unserer Familie auf dem Land zurückgekommen. Wir mussten kurz mit dem Auto anhalten, um von unserer Sicherheitsfirma den dort hinterlegten Hausschlüssel entgegenzunehmen. Die Firma hat ihr Büro in unserer Straße, zwei Häuser weiter. Und dann geht es los mit den tausend „wenns“, die in meinem Kopf herumschwirren. Wenn wir den Schlüssel gehabt hätten (hätten sie uns womöglich am Haus erwischt, was noch böser hätte ausgehen können). Wenn wir, wie eigentlich immer, wachsamer gewesen wären bei Motorrädern und Fahrzeugen um uns herum. Wenn ich einfach alles rausgegeben hätte (ich war so dumm – dummdumm! Wirklich, ich weiß es aus Trainings und Gesprächen besser – an meiner Spiegelreflex festhalten zu wollen. Krach, hat mir einer den Pistolenknauf über den Kopf gezogen). Wenn ich nicht ausgerechnet an dem Tag ausnahmsweise die Kamera dabei gehabt hätte. Wenn ich meine Handtasche beim Kindersitz auf den Boden gestellt hätte, wo man sie nicht sieht. Wenn ich fix reagiert hätte und irgendwas nach hinten in den Kofferraum geworfen hätte (den öffnen sie meist nicht). Wenn wenigstens nicht alles in der Handtasche gewesen wäre. Wenn Joshua seinen Computer mit Foto und Dokumenten nicht mitgenommen hätte. Wenn der Security Guard nicht Muffensausen bekommen hätte und davongerannt wäre. Wennwennwenn.  

Aber ganz bewusst sage ich: egal. Denn wir sind heil geblieben. Freunde haben mich in der Nacht liebevoll aufgenommen und versorgt, während Joshua zur Polizei ist. Andere Freunde haben uns dann mit zwei Fahrzeugen nach Hause eskortiert. Am anderen Tag ist ein Strom an Mitgefühl und Hilfe über uns hinweggeschwappt. Besuche, Anrufe, Emails, Facebook. Das hält bis heute, eine Woche später, an, und tut unglaublich gut. Was auch anhält, sind meine Schockmomente: Ich sehe Liam, der Gott sei Dank nur einen Schrecken bekommen hat, an den er sich nicht erinnern wird, und fange an zu heulen. Ich schließe panisch alle Türen im Auto ab, wenn Joshua kurz aussteigt und so die Verriegelung löst. Ich gehe keinen Schritt zu Fuß, und gucke misstrauisch jedem Motorrad hinterher (und davon gibt es hier viele). Ich komme mir manchmal immer noch vor wie im Film – und, mal nachschauen, vielleicht hängt meine Handtasche ja doch wieder am Stuhl?

Wie oft und wie lange wir in den letzten Tagen bei der Polizei waren, ist unsäglich. Trotzdem wird da nichts gehen. Meist stecken Polizisten mit den Kleinkriminellen unter einer Decke, leihen ihnen sogar für ein Taschengeld ihre Waffen aus. Der Officer, der unseren Tatbestand aufnahm, sitzt ohne Computer an einem Tisch mit lila Plastiktischdecke (samt Zitronen-Trauben-Dekor) in einem Raum, der nach Urin stinkt. Genau gegenüber ist die Übergangszelle für Gefangene, die dort in Eimer pinkeln, und dieser Duft weht ständig herein. Was will man da schon erwarten.

In all dem ist Gott unendlich gut zu uns. Wir haben Familie und Freunde, die uns zur Seite stehen. Mein Herz kommt zur Ruhe, ich schlafe nachts gut. Ich finde Trost in Liedern, die ich Liam vorsinge: Ein kleiner Spatz zur Erde fällt und Gott entgeht das nicht... wenn er die kleinen Dinge liebt, wie sehr liebt er dann mich. Jemand hat einen Teil unserer Dokumente gefunden und abgegeben: Ich habe Bankkarten, Personalausweis, Führerschein und etlichen Papierkrimskrams wieder. Auf alles andere verzichten wir nun erstmal.

Manicure: Freunde haben, wenn man sie am nötigsten braucht
Helmet: Mein Herz nicht an Dinge hängen