Mittwoch, 14. Juli 2010

Pippilottas und meine Welt

Von Pippi Langstrumpf kann man viel lernen. Das weiß jedes Kind, jeder Dorf-Ganove und jeder Südsee-Pirat.

„2 x 3 macht 4, widdewiddewitt und 3 macht Neune! Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt!“

An Pippis Lebensmotto halten sich auch die meisten Erwachsenen, bewusst oder unbewusst: Sie machen sich ihre Welt, wie sie ihnen gefällt. So entstehen nicht nur neue Welten, sondern ganze Parallel-Universen. Eine oder eines habe ich gestern kennengelernt. Ich war mit einer sudanesischen Freundin und meiner deutschen humedica-Kollegin aus Darfur essen, in einem – natürlich – sudanesischen Lokal in Friedrichshain. Freunde des Hauses führt der Besitzer in den „VIP-Bereich“, eine Wohnung über dem Imbiss, die liebevoll mit Landschafts-Malereien an den Wänden, einem großen Esstisch und einer gemütlichen Sofa-Sitzecke eingerichtet ist. Schon dort zu sitzen, sudanesische Volksmusik zu hören, unglaublich lecker zu essen (der Geschmack erinnerte mich wirklich an Darfur) und zu reden hat mich gefühlt aus Berlin in eine andere Welt versetzt. Dann erzählte meine Freundin davon, wie unglücklich ihre im Sudan lebende Mutter ist – weil sie, die Tochter, noch nicht geheiratet hat und ihr somit keine Kinder beschert. Sie findet ihre Tochter undankbar. Und hält sie für eine Versagerin. Dabei hat die Tochter studiert, es zu einer guten Stellung in der sudanesischen Botschaft in Berlin gebracht, seit Jahren schickt sie ihrer Mutter Geld und kümmert sich auch sonst. Aber das ist nicht das, was in der Welt der Mutter zählt.

Letzte Woche habe ich im Freiluftkino „Die Fremde“ gesehen. Umay, die 25-jährige Protagonistin, ist in Berlin groß geworden. Sie wird mit einem türkischen Mann in Istanbul verheiratet, haut aber irgendwann unglücklich und verzweifelt mit ihrem kleinen Sohn ab, zurück nach Berlin. Sie will dort ein selbstbestimmtes Leben führen. Ein konservatives Rollenverständnis, entsprechende Pflichten und die Familien-Ehre machen ihr das unmöglich. Wie viele Umays leben wohl in Berlin, in ihrem eigenen Universum?

Und wie viele „deutsche“ Welten gibt es in Deutschland, oder allein in Berlin? Wenn man mit dem Zug von Berlin nach Hameln fährt (ja, das habe ich neulich gewagt. Senk ju vor träwelling wiss Deutsche Bahn.) kommt man an Orten vorbei die Elze-Han, Osterwald und Goppenbrüggl heißen und deren Bahnsteige Sandpisten sind. Was machen die Menschen, die da leben? Ok, mein Heimatort heißt Ruit, und ich weiß, Glashaus, Steine und so weiter. Aber man fragt sich das schon ;-)

Oder ein anderes Beispiel aus Berlin: Auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei ist eine trendige, wenn auch leicht trashige (oder gerade deswegen?) Event-Location entstanden. Künstler, Alternative und sonstige Kreative sind hier unterwegs. Auf dem Hof gibt es in einem Kinogebäude die – Achtung, Sie betreten jetzt ein anderes Universum – „Bill Yard“ Bar (schreibt sich wirklich so). Da treffen sich Wochenends die 18-Jährigen aus dem Umland (zumindest die Jungs mit den tiefer gelegten Opel & Cos müssen 18 sein) in hellblauer-Jeans-mit-weißem-Fruit-of-the-Loom-T-Shirt beziehungsweise Marylin-Monroe-Cocktailkleidchen um ein paar Kugeln zu stoßen. Und wer sagt jetzt, welche Welt die echte ist?

Manicure: Öfter mal in eine andere Welt eintauchen
Helmet: Meine kleine Welt