Das Thema Huhn scheint mich irgendwie zu
verfolgen. Wir waren die letzten Tage in der Küstenregion auf Projektreise (allerdings nicht an der Küste, da sind die Touristen, die brauchen unsere Hilfe nicht), und haben von dankbaren Eltern ein Huhn geschenkt
bekommen. In einem winzigen Dorf, das man nur per Kanufahrt über den Fluss Tana
erreicht. Dort haben wir (das heißt humedica) sechs Monate lang das Schulessen
für die Kinder finanziert, Küchenutensilien und Lernmaterial eingekauft. Die
obligatorische Tasse Tee im Haus der Eltern haben wir genossen, das Huhn haben
wir später weiter verschenkt.
Das Huhn ist aus seiner Transportkiste entwischt! Die Freiheit währte aber nicht lange. |
Kenianische Gastfreundschaft (leider oft mit großzügig Zucker im Tee). |
Wilde Tiere gibt es in der Gegend auch noch. Die Bauern und Viehhirten haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu den Tieren, die wir bewundern: Elefanten zerstören die mageren Ernten, Nilpferde fallen Menschen an, Zebras sind aggressiv, Wasserbüffel – gibt es nicht mehr viele, die sind nämlich nicht so fix wie Zebras, schmackhafter als Nilpferde und lassen sich leichter wildern. Der Trick: Die Wilderer kommen zu zweit, einer bläst die Trompete und rennt um einen Baum, der Büffel stoffelig hinterher. Der zweite Mann steht bereit und schlägt dem Büffel im richtigen Moment den Muskel des Hinterbeins durch. Daraufhin fällt der Büffel, wird getötet und die Wilderer verdienen sich mit dem Fleisch illegal 8.000 Schilling (etwa 75 Euro).
Eine andere natürliche Einkommensquelle:
Palmwein aus den hohen Palmbäumen. Dafür werden einfach die Äste hoch oben
eingeschnitten und Flaschen angebracht, in die der Alkohol direkt aus dem Baum
tropft. Allerdings können es manche Jungs wohl nicht lassen, den Tropfen noch
auf dem Baum zu verkosten, und fallen dann aus zwanzig bis dreißig Meter Höhe
bedudelt nach unten.
Rauf in die Palme... |
...und Flaschen zum Abzapfen rangehängt. |
Viel spannender, schöner und eindrücklicher als diese Erlebnisse und Erkenntnisse war die Zeit, die wir mit den Menschen verbracht haben, vor allem mit den Kindern. Die Gegend ist noch sehr unterentwickelt, Strom und fließend Wasser gibt es nirgends, als Straße halten Trampelpfade her, die so schmal sind, dass sie nur für die linken oder die rechten Autoreifen ausreichen. Die Kinder kommen von überall aufgeregt rufend angelaufen: „Gari, gari, vehicle, vehicle!!“ – ein Fahrzeug sieht man hier nicht alle Tage.
Überhaupt, die Kinder. Ihr Leben ist härter als
das jedes Hartz-IV-Empfängers oder Bergwerkarbeiters in Deutschland. Schon die
Fünfjährigen hüten Ziegen, die Achtjährigen schleppen 25-Liter-Kanister vom
Fluss nach Hause. In der Schule sitzen sie oft im Dreck auf dem Boden,
andere haben wir auf dem harten Betonboden vor ihren zu Tischen
umfunktionierten Bänken knien sehen. In fast jeder Lehrerhand befindet sich
eine Rute, die definitiv zum Einsatz kommt. Die einzige Mahlzeit am Tag ist das
Schulessen. Deswegen kommen die meisten ja überhaupt in die Schule. Für einen
Teller Reis mit Bohnen, jeden Tag das Gleiche. Wenn wir in ein Klassenzimmer
kommen, schauen uns zwanzig bis siebzig ernste Kindergesichter mit großen Augen
an. Bis eines anfängt, schüchtern zu lächeln. Und irgendwann lacht. Wunderschön
mit funkelnden Augen lacht. Als ob es keine Mühe im Leben gäbe. Ich liebe diese
Kinder. Mir geht das Herz auf und über und gleichzeitig bricht es mir. Ich freue mich wie ein Schneekönig, wenn der erste kleine
Räuber den Mut aufbringt, mir die Hand hinzustrecken und dann auf einmal zig
Hände mich anfassen wollen (oder neugierig meinen Nagellack an den Füßen
befühlen). Ein spitzbübischer kleiner Kerl mitten im Nirgendwo hat mir doch
tatsächlich einen Handkuss gegeben! Ich war hin und weg, und der Kleine ist
immer wieder wo anders in der Kinderschar aufgetaucht, hat sich meine Hand geschnappt
und mir begeistert weitere kaiserliche Grüße draufgeschmatzt!
Weil mich diese Kinder so beeindrucken, habe ich
ihre Fotos und ein paar mehr in einem Album im Internet eingestellt – hier haben sie nicht alle Platz, und
wirklich beschreiben kann man den Ausdruck in diesen Gesichtern ohnehin nicht.
Einzige Trübsal dieser Reise: Ich habe
geschätzte hundertzilliontausend Moskitostiche. Irgendwie war ich der Meinung,
dass es in diesem von der Trockenheit geplagten Landstrich keine Moskitos geben
kann. Und habe folglich kein Moskitospray eingepackt. Dass sich der Name „Tana
River District“ vom dort durchfließenden größten Fluss Kenias ableitet, der
Tana, habe ich nicht bedacht (also wie wenn Württemberg „Neckar“ heißen würde).
Die Moskitos haben es mir gedankt.
Manicure: Ein feuchter Handkuss mitten in der Wildnis
Helmet: Immer, immer Moskitospray dabei haben
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