Samstag, 23. Juni 2012

Küss die Hand, weiße Frau!


Das Thema Huhn scheint mich irgendwie zu verfolgen. Wir waren die letzten Tage in der Küstenregion auf Projektreise (allerdings nicht an der Küste, da sind die Touristen, die brauchen unsere Hilfe nicht), und haben von dankbaren Eltern ein Huhn geschenkt bekommen. In einem winzigen Dorf, das man nur per Kanufahrt über den Fluss Tana erreicht. Dort haben wir (das heißt humedica) sechs Monate lang das Schulessen für die Kinder finanziert, Küchenutensilien und Lernmaterial eingekauft. Die obligatorische Tasse Tee im Haus der Eltern haben wir genossen, das Huhn haben wir später weiter verschenkt.

Das Huhn ist aus seiner Transportkiste entwischt! Die Freiheit währte aber nicht lange.

Kenianische Gastfreundschaft (leider oft mit großzügig Zucker im Tee).

Wilde Tiere gibt es in der Gegend auch noch. Die Bauern und Viehhirten haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu den Tieren, die wir bewundern: Elefanten zerstören die mageren Ernten, Nilpferde fallen Menschen an, Zebras sind aggressiv, Wasserbüffel – gibt es nicht mehr viele, die sind nämlich nicht so fix wie Zebras, schmackhafter als Nilpferde und lassen sich leichter wildern. Der Trick: Die Wilderer kommen zu zweit, einer bläst die Trompete und rennt um einen Baum, der Büffel stoffelig hinterher. Der zweite Mann steht bereit und schlägt dem Büffel im richtigen Moment den Muskel des Hinterbeins durch. Daraufhin fällt der Büffel, wird getötet und die Wilderer verdienen sich mit dem Fleisch illegal 8.000 Schilling (etwa 75 Euro).

Eine andere natürliche Einkommensquelle: Palmwein aus den hohen Palmbäumen. Dafür werden einfach die Äste hoch oben eingeschnitten und Flaschen angebracht, in die der Alkohol direkt aus dem Baum tropft. Allerdings können es manche Jungs wohl nicht lassen, den Tropfen noch auf dem Baum zu verkosten, und fallen dann aus zwanzig bis dreißig Meter Höhe bedudelt nach unten.

Rauf in die Palme...

...und Flaschen zum Abzapfen rangehängt.

Viel spannender, schöner und eindrücklicher als diese Erlebnisse und Erkenntnisse war die Zeit, die wir mit den Menschen verbracht haben, vor allem mit den Kindern. Die Gegend ist noch sehr unterentwickelt, Strom und fließend Wasser gibt es nirgends, als Straße halten Trampelpfade her, die so schmal sind, dass sie nur für die linken oder die rechten Autoreifen ausreichen. Die Kinder kommen von überall aufgeregt rufend angelaufen: „Gari, gari, vehicle, vehicle!!“ – ein Fahrzeug sieht man hier nicht alle Tage.

Überhaupt, die Kinder. Ihr Leben ist härter als das jedes Hartz-IV-Empfängers oder Bergwerkarbeiters in Deutschland. Schon die Fünfjährigen hüten Ziegen, die Achtjährigen schleppen 25-Liter-Kanister vom Fluss nach Hause. In der Schule sitzen sie oft im Dreck auf dem Boden, andere haben wir auf dem harten Betonboden vor ihren zu Tischen umfunktionierten Bänken knien sehen. In fast jeder Lehrerhand befindet sich eine Rute, die definitiv zum Einsatz kommt. Die einzige Mahlzeit am Tag ist das Schulessen. Deswegen kommen die meisten ja überhaupt in die Schule. Für einen Teller Reis mit Bohnen, jeden Tag das Gleiche. Wenn wir in ein Klassenzimmer kommen, schauen uns zwanzig bis siebzig ernste Kindergesichter mit großen Augen an. Bis eines anfängt, schüchtern zu lächeln. Und irgendwann lacht. Wunderschön mit funkelnden Augen lacht. Als ob es keine Mühe im Leben gäbe. Ich liebe diese Kinder. Mir geht das Herz auf und über und gleichzeitig bricht es mir. Ich freue mich wie ein Schneekönig, wenn der erste kleine Räuber den Mut aufbringt, mir die Hand hinzustrecken und dann auf einmal zig Hände mich anfassen wollen (oder neugierig meinen Nagellack an den Füßen befühlen). Ein spitzbübischer kleiner Kerl mitten im Nirgendwo hat mir doch tatsächlich einen Handkuss gegeben! Ich war hin und weg, und der Kleine ist immer wieder wo anders in der Kinderschar aufgetaucht, hat sich meine Hand geschnappt und mir begeistert weitere kaiserliche Grüße draufgeschmatzt!



Weil mich diese Kinder so beeindrucken, habe ich ihre Fotos und ein paar mehr in einem Album im Internet eingestellt – hier haben sie nicht alle Platz, und wirklich beschreiben kann man den Ausdruck in diesen Gesichtern ohnehin nicht.

Einzige Trübsal dieser Reise: Ich habe geschätzte hundertzilliontausend Moskitostiche. Irgendwie war ich der Meinung, dass es in diesem von der Trockenheit geplagten Landstrich keine Moskitos geben kann. Und habe folglich kein Moskitospray eingepackt. Dass sich der Name „Tana River District“ vom dort durchfließenden größten Fluss Kenias ableitet, der Tana, habe ich nicht bedacht (also wie wenn Württemberg „Neckar“ heißen würde). Die Moskitos haben es mir gedankt.

Manicure: Ein feuchter Handkuss mitten in der Wildnis 
Helmet: Immer, immer Moskitospray dabei haben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen