Samstag, 13. Februar 2010

Normalität. Ist das normal?



Ich lasse die vergangene Woche in meinen Gedanken Revue passieren. Was war neu, herausragend, was hat mich bewegt? Erstaunt stelle ich fest, dass ich das Leben hier irgendwie schon ganz normal finde. Ab und zu fällt der Strom aus, vor ein paar Tagen ist mit einem rauchigen Puff wahrscheinlich deswegen mein Computerkabel durchgeschmort (seither funktionieren leider auch einige Tasten nicht mehr), ich trinke süßen arabischen Tee statt Kaffee, ein Kopftuch und das Walkie-Talkie sind meine ständigen Begleiter, meine Definition von „pünktlich“ ist den Landessitten gemäß nur noch sehr vage, es fahren mehr Eselkarren als Autos, im Büro arbeite ich mit meinen Fertigkeiten, die ich auch in einem deutschen Büro einsetze (womit auch sonst?).

Und dann frage ich mich, was erwarte ich eigentlich, wenn ich in ein fremdes Land fahre? In ein Land, das man sich nicht so recht vorstellen kann, weil es wenig Bilder, wenig Beschreibungen gibt – die Regierung weiß das zu verhindern. Was unterscheidet die Menschen hier, was macht das Leben anders? Auch hier wachsen Bäume, die wie Bäume aussehen, die Menschen sind Menschen, sie gehen einer Beschäftigung nach, sie essen, sie schlafen.

In Berlin wäre ich heute Morgen mit Freunden einen Kaffee trinken gegangen, vielleicht nach einer Runde über den Wochenendmarkt aufm Kollwitzplatz. Hier gehen wir mittags zu Al Djenina, ein Fleischmarkt mit Barbecue. Ziegenkeulen und Schafrippchen brutzeln über Kohlenfeuern, es riecht (und schmeckt) ausgesprochen lecker, und ringsum sind kleine Buden, in denen man sich zum Essen setzen kann. Zwar führt keine Strasse dahin; es gibt sowieso nur wenige geteerte Straßen, man holpert so durch die Landschaft, wo offensichtlich schon mal jemand gefahren ist. Aber was macht das schon?

Ja, natürlich ist das Leben anders. Die Flüchtlinge in den Camps leben ohne Strom und fließend Wasser. Sie sind abhängig von Lebensmittellieferungen. Die Frauen stehen mit Plastikkanistern an den Wasserstellen an. Die Kinder haben Glück, wenn sie in eine der Campschulen gehen können. Die Männer haben noch mehr Glück, wenn sie bei einer der vielen Hilfsorganisationen angestellt sind. Und so hat sich auch in den Lagern über die Jahre ein „normales“ Leben entwickelt. Es gibt einen Markt, nach der Regenzeit wird auf der Fläche rings um das Lager Gemüse angebaut, links und rechts klingeln Handys mit den absurdesten Melodien – vom Titanic-Titelsong über Bollywood-Gedüdel.

In Treffen mit den Sheiks, den Oberhäuptern der Stämme, diskutieren wir stundenlang. Persönliche Interessen, Machtbedürfnis und Stolz bestimmen oft das Ergebnis. Aber ehrlich, kommt mir das nicht irgendwie bekannt vor? Nach einer Vorsichtsmaßnahme in einer unserer Lager-Kliniken verbringe ich einige Zeit mit den lokalen Angestellten. Wir haben die Klinik für zwei Tage geschlossen, weil es Unruhen gab. Ich erkläre, höre ihre Bedenken, frage nach, erkläre wieder. Schließlich sind sie ganz zufrieden, dass sie nun den Hintergrund kennen, mit einbezogen sind. Ich denke: das geht doch jedem Mitarbeiter so, in jedem deutschen Betrieb, man will verstehen, was „die da oben“ entscheiden und warum. Das ist ganz normal.

Ich könnte noch stundenlang und seitenweise weiter Vergleiche anschauen. Aber ich glaube, mehr Text will keiner lesen, jedenfalls nicht in einem Blog. Ist ja auch irgendwie normal.

Manicure: meinen Gedanken nachhängen
Helmet: Normalitäts-Kurve anpassen



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