Donnerstag, 9. Dezember 2010

Allerweltsengel

Die ganze Welt ist voller Allerweltsengel, gerade im Winter. Sie sind überall unterwegs - daher haben sie ihren Namen. Nicht, weil sie gewöhnliche Engel wären, ganz normale, nicht weiter interessante Durchschnittsengel, nein, sondern weil sie in aller Welt sind.

Interessanterweise tun diese Allerweltsengel aber so, als ob sie Menschen wie du und ich wären. Ich vermute, dabei amüsieren sie sich besonders. Erst gestern Nacht habe ich wieder welche getroffen. Ich saß bei plus 10 Grad und Föhnwind auf dem Münchner Flughafen, und irgendwann war klar, dass meine 20-Uhr-Maschine nicht so schnell starten würde - Schneechaos im Rest von Deutschland, und richtig Flockenwirbel in Berlin. Um kurz vor Mitternacht ging es dann doch noch los. Um eine Uhrzeit, zu der die Crew aufgrund ihrer Flugstundenbegrenzung schon längst hätte Schluss machen müssen. Sie haben sich aber trotzdem gut gelaunt mit uns aufgemacht. Gewöhnliche Piloten und Purser? Nein, Allerweltsengel.
Wie durch ein Wunder sind wir tatsächlich eine knappe Stunde später in Tegel gelandet. Da gibt es eigentlich ein Nachtflugverbot: ab 23 Uhr keine Landung mehr. Und gestern zusätzlich jede Menge Schnee. Aber wir sind gelandet. Gewöhnliche Lotsen im Tower? Nein, Allerweltsengel.
Und wenn dann so ein Airbus 250 Menschen auf einen Flughafen ausspuckt, an dem kein Bus mehr fährt und kein Taxifahrer mehr mit Gästen gerechnet hätte - was passiert? 250 Menschen versuchen das eine Taxi zu kriegen, das gerade anfährt. Ich musste ausgerechnet gestern auf Gepäck warten und komme zu den (nicht vorhandenen) Taxen. Da steht schon eine riesige Menschenmenge. Es ist kalt und ungemütlich. Ein Taxi fährt an, ein älterer Herr lädt sein Gepäck ein, will einsteigen, dreht sich nochmal um und ruft: "Möchte irgendjemand mit nach Pankow?" Nach Pankow? Und ob ich das will! Von dort aus bin ich fast Zuhause! Zauberhafterweise ist die Warteschlange schon so gewunden, dass das Ende, an dem ich stehe, genau neben seinem Taxi ist. Flugs hin gelaufen, nochmals ungläubig nachgefragt und eingestiegen. Ich kann es nicht fassen. Einfach nur ein netter Typ? Oh nein, eindeutig ein Allerweltsengel!

Ich will nun nicht adventlich-sentimental werden, aber ich kann alle nur ermuntern, sich nach diesen Allerweltsengeln umzusehen. Es macht unglaublich Freude, sie zu treffen. Und dieses gute Gefühl hilft durch manche Schneewehe und Regenwolke hindurch.

Manicure: Allerweltsengel treffen
Helmet: Auch ein Allerweltskerle kann sich als Allerweltsengel entpuppen


Letze Wintersaison habe ich mit meiner Nichte Engel in den Schnee gemalt - natürlich Allerweltsengel.

Donnerstag, 11. November 2010

Heimat, deine Kinder

Gestern habe ich mich mit zwei Freundinnen zum Abendessen getroffen. Beides Schwäbinnen, wie ich. Grund genug, sich ab und an zu treffen (neben den guten Gesprächen und dem Spaß, den wir an solchen Abenden haben – natürlich bei einem Fläschle Württemberger). Auf dem Weg dahin habe ich mir überlegt, warum man sich – gerade in der Fremde – eigentlich immer wieder mit Menschen aus der Heimat zusammenrottet. Und was heißt überhaupt „aus der Heimat“, ich bin in Berlin daheim! Stuttgart ist „bei meinen Eltern“. Berlin ist „Zuhause“. Heutzutage ist es doch so: Da wo ich bin, wo meine Freunde leben, wo ich mich wohl fühle, da bin ich daheim.

Andererseits haben wir schon im Kindergarten gesungen: „Heim, heim, heim, heim, heim, heim, heim wollen wir gehen!“ Bei so vielen heims muss ja irgendwas dran sein an der Frage, ob Heimat vielleicht doch dort zu finden ist, wo die Eltern sind, wo die geographische Herkunft ist.

Mit Joshua hatte ich auch diese Diskussion. Für ihn als Kenianer ist das ganz einfach. „Home“ ist da, wo seine Eltern gelebt haben und wo er geboren ist. Und zwar genau auf diesem Grundstück. Deswegen hat er dort auch ein einfaches Lehmhaus stehen, damit er jederzeit nach Hause kann. Und dieses würde er gerne durch ein besseres, stabileres, größeres Lehmhaus ersetzen. Denn dort sind seine Wurzeln, da gehört er hin, und damit auch seine Familie. Er muss und will nicht zwingend ständig da leben, aber es ist eben „home“. Alle seine Brüder haben dort genauso ihre Hütte und ihre Heimat. Und für die Frauen ist da daheim, wo die Männer sind.

Und selbstverständlich habe ich Joshua meine Heimat gezeigt, als er hier war. Glasklar: In dem Zusammenhang ist Heimat Ruit, die Schwäbische Alb, das Häusle im Schwarzwald und der Stuttgarter Fernsehturm. Ihm hat’s gefallen, und mir hat es gut getan, mal wieder in ganz wohlvertrauten Gefilden unterwegs zu sein.


In der Heimat: Die Teck.

Aber es ist eben so: Für mich gehört zu Heimat auch Fernweh. Ich möchte immer wieder so gerne in die Ferne, dass es mir schon weh tut. Und wenn die Zeit in der Ferne vorbei ist, ist heimkommen umso schöner.

Manicure: Fernweh
Helmet: Heimat

Kurzes PS zu "Weh und Wonne..."

Nun ist er schon wieder weg. Aber erstmal ist wichtig und schön, dass er reinkam! Joshua hat es nach Deutschland geschafft, das konnte auch hartnäckiges Kratzen am Visum, mehrfaches scharfes Vergleichen des Fotos mit der Person und nochmaliges Durchblättern sämtlicher Visumsantragsdokumente durch den Grenzbeamten nicht verhindern. Und ich war glücklich :-)


Beweisfoto vor dem Brandenburger Tor - wo sonst.

In Griechenland haben wir dann auch hautnah erlebt, warum die Schengen-Grenzer etwas nervös sind. Im Bus von Thessaloniki nach Athen wurde flugs ein Illegaler ohne Papiere festgenommen - nachdem natürlich auch Joshua als deutlich erkennbar Schwarzer nach dem Ausweis gefragt wurde. Und auf sämtlichen Flughäfen musste er als einer der wenigen seinen Pass vorzeigen. Ich hab dann immer höflich auch meinen Pass gezeigt, das hat aber niemand so recht interessieren wollen.

Manicure: ein Afrikaner in Schengen
Helmet: das Visum hält auch Kratzen und Biegen stand

Montag, 18. Oktober 2010

Weh und Wonne der deutschen Behörden

In meinem bisherigen Leben habe ich mich so durch die deutsche Behördenlandschaft hindurchgeschlängelt. Klar, ich war schon öfter auf dem Finanzamt, immer mal wieder auf dem Einwohnermeldeamt, auch an der Perso- und Passstelle im Bürgeramt stand ich diverse Male. Die meisten Beamten oder Staatsangestellten, die mir dabei über den Weg gelaufen sind, waren halt beamtentypisch pünktlich, worteffizient und paragrafengetreu.

Den Vogel abgeschossen hat in den letzten Wochen die Deutsche Botschaft in Karthum und deren Angestellte. Wobei zu bemerken ist, dass ich es vorwiegend mit lokalen, also sudanesischen Bediensteten zu tun hatte. Der Versuch, dort ein Schengen-Visum für Joshua (als im Sudan lebender und arbeitender Kenianer) zu bekommen, glich einem Himmelfahrtskommando. Da ich mir vorgenommen habe, in diesem Blog nie mehr als zwei Bildschirmseiten pro Geschichte zu füllen, kann ich leider nicht alle Details schreiben. Aber die Kombination aus der bürokratischen Ausländerbehörde in Berlin und der nicht an der Ausreise bzw. Schengen-Einreise von Afrikanern interessierten Deutschen Botschaft im Ausland ist 'ne Wucht. Unkooperative und unerbittliche Sachbearbeiter in der Visumstelle. Dokumente über Dokumente, und alle nur im Original (das hat mir einen DHL-Express-Versand in Höhe von 69 Euro eingebracht - Bezahlung nur in Cash, was mir meine Nachbarin glücklicherweise leihen konnte). Der Visum-Antragsteller muss ebenso im Original erscheinen, was die Dinge weiter verteuert und zeitaufwändig macht (wenn man wie Joshua zwei Flugstunden entfernt in Süddarfur arbeitet). Als Einladender braucht man ein festes Einkommen von tausend Euro im Monat. Da ich Freelancer bin, also laut Behörde ohne festes Einkommen, müssen es 10.000 Euro auf dem Konto sein - und zwar auf dem Sparbuch, Girokonto gilt nicht. Man muss außerdem eine spezielle Schengen-Auslandsreisekrankenversicherung abschließen, den Flug schon mal buchen (ja, Pech wenn es dann mit dem Visum nicht klappt!) und tausend andere Dinge.

Ich habe mich irgendwann gefragt, was Menschen tun, die weniger Geld, weniger Grips und weniger Galgenhumor haben als ich. Eine Freundin hatte auch mal so ein Behördenerlebnis - und hat von dem Beamten eine Antwort bekommen. Auch sie hat studiert und ist eine fixe Person. An den Unterlagen zu "ungeklärten Zeitläufen" in ihren deutschen Rentenbescheiden ist sie allerdings gescheitert. Immerhin war sie so schlau, in letzter Verzweiflung einen "Termin zur Unterstützung beim Ausfüllen der Unterlagen" zu vereinbaren. Die Antwort des Rentenbescheids-Beamten auf ihre Frage, wie denn andere mit den Unterlagen klar kommen, war: "Dumme Leute wägen nicht so viele Eventualitäten ab wie Sie, Frau K., daher fällt denen ein Kreuzchen als Antwort leichter als Ihnen. Sie hingegen sehen fünf mögliche richtige Kreuze, wo ein Dummer einfach schon mal bei 1. eins gesetzt hat." Damit wäre diese sinnlose Frage auch geklärt.

Was zählt, ist der Erfolg. Joshua kommt nach Deutschland, für zwei Wochen, nach Unsummen an Gebühren und Nerven. Ich werde ihn wahrscheinlich nicht aus der Wohnung und sicher keine Sekunde aus den Augen lassen. Aus Romantik, aber auch aus schierer Unlust am Risiko: Die Verpflichtungserklärung, die ich für ihn auf der Ausländerbehörde unterzeichnen musste, umfasst nämlich alles. ALLES. Alle Kosten, die während seines Aufenthaltes durch ihn verursacht irgendwie entstehen könnten, und alle Kosten, bis er dann wieder in seinem Herkunftsland ist.

PS: Ich möchte mich aber trotzdem ausdrücklich und allerherzlichst bei der Botschaft in Karthum bedanken, die Joshua ein zweites Visum in den Pass geklebt hat, weil das erste das falsche Datum trug - und das innerhalb von 15 Minuten (na gut, dazwischen lagen diverse Gespräche, die Frühstückspause der Guards, alles in allem ca. 3 Stunden)!

Manicure: Wonne der Behörden auskosten - wenn das Visum da ist
Helmet: Weh der Behörden ignorieren - bis das Visum da ist

Samstag, 25. September 2010

Prag? Karlsbrücke!

Im September war ich mit der Verwandtschaft ein Wochenende in Prag. Genauer gesagt: mit zwei Kusinen und einem Cousin. Noch genauer gesagt: Mit den Kusinen und dem Cousin, mit denen wir schon früher als Familie immer Urlaub gemacht haben. Früher ist zwar ein paar Jahre her (ich bin ja im März mal wieder 28 geworden, und bei meinem letzten Großfamilienurlaub in Spanien war ich geschätzte 17). Aber es macht heute noch genauso viel Spaß!

Auch nach Prag hatte uns so ein Familienurlaub schon mal geführt. Nach zwei Wochen in der tschechischen Pampa ging es damals noch einen Tag in die Großstadt. Wobei auch die Pampa schön war. Keiner von uns konnte sich am Wochenende erinnern, wo wir waren, aber wir hatten lebendigst den freundlichen Vermieter und seinen Kumpel vor Augen, die uns die Schlüssel zum Freibad und Tennisplatz unten an der Straße gaben ("da kännen Sie jeeeederrrrzeit rrrein!"), mit uns abends am Lagerfeuer tschechische und deutsche Lieder sangen (immer eingeleitet durch ein herzhaftes "Prrrrobierrren wirrrr diiiiiiiese!") und uns exklusiv in seinen privaten, zu Sowjet-Zeiten geheimen Weinkeller mitnahm. Von Prag blieb nur die Karlsbrücke und der Turm mit den vielen Uhren und den tanzenden Gestalten im Gedächtnis.



Was bleibt mir von diesem Prag-Wochenende? Bis auf die kleine unangenehme Hürde, dass ich von Berlin nach Prag mit dem Zug fahren musste (5 Stunden Fahrt! Und es gibt keinen Flieger! Es gibt einfach keinen!) war es ein herrlicher Kurztrip. Ich weiß zwar immer noch nicht, wie all die "berühmten historischen Gebäude" anders heißen, mit Ausnahme der Karlsbrücke. Ich kenne mich auch nicht wirklich im Straßenwirrwarr der Altstadt aus, und ich war nicht in einem einzigen Museum. Aber ich weiß, es ist traumhaft schön, sich mit Freunde-Cousins bei Sonnenschein durch eine zauberhafte Stadt treiben zu lassen, hier und da auf einen Kaffee oder ein Pils zu verweilen und die Zeit zu genießen. Das zählt!

Unser Reiseführer ist übrigens in Prag geblieben. Er war einfach für nichts gut. Weder für Restaurants-Tipps, noch für schöne Parks, noch für brauchbare Routenplanung. Er steht jetzt mit den anderen liegen und stehen gelassenen Büchern im Hostel-Regal.


Der Führer, der uns so stehen lässt, wird stehen gelassen!

Manicure: Freunde, Stadt, Sonne tanken
Helmet: Für-nichts-gut-Führer vergessen

Neues fliegt durch Raum und Zeit

Ein Gerücht ist was Schönes. Es hat meist den Charakter einer Sensation, ist geheimnisvoll, aufregend, und irgendwie verboten. Es befriedigt die ewige Lust an der Neugier. Ich weiß nicht, woher das Wort Gerücht kommt – vielleicht von riechen? Da liegt was in der Luft, es duftet, wabert, stinkt.

Was ich wirklich spannend finde, ist die Geschwindigkeit, mit der sich Gerüchte in der Regel verbreiten. Manchmal reicht auch schon eine außergewöhnliche Neuigkeit, die als Information in irgendeinem Kommunikationskanal startet und als Gerücht endet. Einen kleinen Feldversuch dazu habe ich unbeabsichtigt in meinem Freundes-, Bekannten- und Familienkreis gestartet. Realistischer hätte man den individuellen Check „Wer kennt über wie viele Knoten wen und wie schnell gehen Neuigkeiten von einem Kontakt zum nächsten?“ nicht aufsetzen können! Die zugrunde liegenden Parameter des Versuchs: 1. Einen Mann kennenlernen bei humedica im Sudan (genauer gesagt: den kenianischen Kollegen), 2. Zurück in Deutschland mit modernen Kommunikationsmöglichkeiten Kontakt halten (hauptsächlich Skype und E-Mail), 3. Den Sommerurlaub in Kenia gemeinsam mit eben jenem Mann verbringen, 4. Nach der Rückkehr ausgewählten Personen erzählen, dass man sich verliebt hat.

Was war das Ergebnis meines Feldversuchs? Zunächst einmal quantitativ: Es gibt unglaublich viele und unerwartete Verknüpfungen und Kontaktanlässe zwischen den Menschen, die mich kennen. Und was den Inhalt angeht: Seit kurz nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub geht die Neuigkeit - oder das Gerücht? - um, dass ich praktisch morgen nach Kenia umsiedle und übermorgen den zugehörigen Kenianer heirate.

Mein Abschlussbericht? Ich freue mich über meinen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Und ich freue mich über jeden, der sich mit mir freut, dass ich einen Mann zum Verlieben kennen gelernt habe. Ob ich ihn (er heißt übrigens Joshua, ist 42 und ein toller Mann!) heirate, weiß ich noch nicht, ist aber gut möglich. Das muss die Zeit erst zeigen. Wann ich "erstmal für immer" nach Kenia umziehe, weiß ich auch noch nicht, so nach nächstem Sommer wäre die derzeitige Idee. Aber was wäre ein Gerücht, wenn sich manche Informationen nicht von alleine manifestieren würden!

Und da jede ordentliche Ergebnisdokumentation eines Versuchs von gutem Bildmaterial lebt, jetzt für alle ein Foto der Versuchspersonen:



Aufgrund der gehäuften Beschwerden ob meiner verträumt nach unten blickenden Augen hier noch ein zweites Foto:



Manicure: Viele nette Menschen kennen
Helmet: Gerüchte aus rein wissenschaftlicher Sicht betrachten

Sonntag, 1. August 2010

Flip-Flop und Bauarbeiterhelm

Kurzgeschichten aus Kenia, Teil 4

Ähnlich wie in Darfur darf ich mich auch hier mal wieder in Schale schmeißen. Dieses Mal ist es aber nicht die traditionelle Gewandung der Frauen, sondern der Dresscode der hiesigen Bauarbeiter. Wir besuchen einen Bekannten, einen Ingenieur, der auf der Baustelle des neuen und dann auch internationalen Flughafen Kisumus arbeitet. Da weder mein Luo (die Sprache, die von dem hier ansässigen Stamm gesprochen wird) noch mein Kisuhaeli fließend sind (oder auch nur annähernd bruchstückhaft), kriege ich nur mit, dass es um irgendwelches Business geht. Sie lieben es, die Kenianer: Geschäfte anbahnen, einschlagen, machen, für andere einfädeln, und was man sonst so mit Geschäften anstellen kann. Außer gähnender Langeweile sprang für mich im Anschluss immerhin die Rohbau-Besichtigung des zukünftigen Flughafen-Terminals raus. Dafür flott in die Bauarbeiterkluft geschlüpft, denn das ist Pflicht: Warnweste, und ganz wichtig: Der Helm! Ohne den darf man auf keinen Fall die Baustelle betreten! Es könnten ja Steine runterfallen! Dass ich an den Füßen Flip-Flops hatte, hat den verantwortlichen Ingenieur nicht weiter gestört. Dabei hatte ich mir gerade bei der Pediküre die Füße glätten und die Nägel lacken lassen. Das wäre nun wirklich schade gewesen, wenn mir ein Steinchen das glänzende Werk zerstört hätte. Eine Maniküre habe ich mir bei der Gelegenheit in Sarah`s Salon übrigens auch machen lassen. Und damit das erste Mal an ein und demselben Tag vollbracht, was der Titel meines Blogs empfiehlt: A manicure and a helmet!



Manicure: Maniküre
Helmet: Helm

Popkorn kann ja jeder...

Kurzgeschichten aus Kenia, Teil 3

...Zuckerwatte aber nicht! Hat mein kenianischer Freund und Ex-Kollege aus dem Sudan bei einer gründlichen Vorortrecherche in seiner Heimatstadt Kisumu (Westkenia, am Lake Victoria) festgestellt. Es steht an jeder Ecke ne Popkorn-Maschine, so eine wie die, die man aus dem Kino kennt. Aber es gibt doch tatsächlich in der ganzen Stadt, immerhin die drittgrößte Kenias mit 800.000 Einwohnern, keine einzige Zuckerwattemaschine. Dabei liiiiiiiieeeeben die Kenianer Zucker! Sie produzieren ihn schließlich auch selbst, hier in der Gegend, aus Zuckerrohr.
Flugs ein Geschäftsmodell entwickelt, das im ersten (und meiner Ansicht nach bisher einzigen durchdachten) Schritt daraus bestand, dass ich die Maschine aus Deutschland mitbringen sollte. Super Idee. Es sollte nämlich keine kleine Tchibo-Haushalts-Möchtegern-Zuckerwattemaschine sein. Sondern eine richtige große, für den gewerblichen Bedarf, man kennt sie vom Jahrmarkt und von der Kirmes... Aber irgendwie fand ich es auch lustig, also habe ich mich ein wenig mit diesen Maschinen und der Herstellung von Zuckerwatte beschäftigt. Alles ganz einfach und unkompliziert! Ich erstand alles Notwendige auf ebay (wo sonst?), also die Maschine, die Holzstäbe und leckere Farben bzw. Aromen wie Himbeere, Heidelbeere, Orange und Traube. Nach dem ersten Schreck ob des waschmaschinengroßen Kartons, den der Postbote die Treppe zu meiner Berliner Wohnung hochwuchtete, kam die nächste bange Frage nach dem Zoll auf. Ich hatte etwas Sorge, ob ich das Teil einfach so nach Kenia einführen darf, aber Afrika wäre nicht Afrika, wenn man nicht einen Bruder hätte, der einen Freund hat, der früher beim Zoll gearbeitet hat und der den Besucher samt Gerät auf dem schnellen Weg persönlich aus dem Flughafen holt.
Jetzt ist das gute Stück also hier, wird an das Klima gewöhnt und dann in den Händen der Frau des Neffen des Zuckerwatte-Pioniers in Kisumu zu einer Goldgrube werden.

Ich muss aber zugeben, dass es wahrhaft kindliche Freude bereitet, wenn die Zuckerwatte aus den Düsen der Maschine stäubt, man die Fäden mit dem Holzstab auffängt und wie früher – das war ein seltenes Vergnügen – das Gesicht in die süße Masse versenkt. Und für alle Eltern: Zuckerwatte ist gar nicht sooo böse. Pro Bausch braucht es gerade mal ein Teelöffelchen Zucker.



Manicure: Zuckerwatte
Helmet: Popkorn

Obamania

Kurzgeschichten aus Kenia, Teil 2

Kenia liebt Barack Obama! Vor allem die Menschen in Western Kenya, und vor allem die Luos, aus deren Stamm der Vater Obamas stammt. Die Liebe zum Präsidenten der USA zeigt sich in den Tageszeitungen, im Straßenbild, in Gesprächen und in Liedern. Fast jeden Tag und in fast jeder Zeitung gibt es einen Bericht über ihn oder die First Lady. Gerne verbunden mit dem Hinweis, dass es ja der Besuch in Kenia 2006 war, der Barack Obama, damals noch als Senator von Illinois unterwegs, bewegt und ermutigt hat, als Präsident zu kandidieren. Die begeisterten Kenianer haben ihren verlorenen Sohn auf einer Welle der Begeisterung quasi direkt zur Präsidentschaft getragen. Als er gewonnen hat, gab es prompt zwei staatliche Feiertage! Das zweite wichtige Datum ist die von der westlichen Öffentlichkeit noch komplett unbeachtete Heimatreise im Jahr 1992, während der Barack seine zukünftige Frau Michelle der Großmutter väterlicherseits vorgestellt hat.

Im Straßenbild findet sich Obama als Pate für Hotels, Restaurants, Läden, Werkstätten oder womit auch immer sonst ein Geschäft zu machen ist: Die Marke Obama zieht!



Und wer gedruckt so omnipräsent ist, ist es zwangsläufig auch in den Unterhaltungen. Jeder weiß, wo Obamas Oma wohnt (und wahrscheinlich auch, wie es ihr gesundheitlich geht). Man ist sich einig, dass er der mächtigste Mann der Welt ist und ein großartiger Sohn beziehungsweise Enkel (der der Oma ein neues Einkommen verschafft hat: Sie lässt gegen Eintritt Gäste in ihren Compound und je nach dem darf es dann auch ein Foto mit ihr sein. Also praktisch mit der mächtigsten Großmutter der Welt.). In populären Liedern werden er und seine Frau gepriesen, und Schnipsel seiner 2006er-Rede wiederholt. Und der erstgeborene Sohn unseres Nachbarn heißt – na, wie wohl? – Barack!

Manicure: Marketing kann so einfach sein!
Helmet: Auf jeden Fall in die Begeisterung einstimmen.

Kurzgeschichten aus Kenia

Die Idee von Bloggen ist ja eigentlich, aktuelle Geschichten aktuell zu berichten. Da ich in meinem Urlaub in Kenia aber seltener ins Internet komme als erwartet (so viel zu sehen, so viel zu erleben!), veröffentliche ich jetzt einfach eine Reihe von kurzen Geschichten auf einmal. Man muss die ja nicht alle oder nicht alle auf einmal lesen. Man kann auch einfach keine lesen.

Teil 1
Ankunft in Nairobi. Linksverkehr, da muss ich mich erstmal dran gewöhnen. Statt „erst links, dann rechts, dann wieder links“ eben umgekehrt. Glücklicherweise muss ich ja nicht fahren. Wobei, so wie die anderen würde ich das wohl auch noch hinkriegen. Die wenigen Ampeln, die es gibt, dienen offensichtlich nur zur Beleuchtung oder zur Dekoration der Straße. Es schert sich kein Mensch drum, welche Farbe die gerade anzeigen. Immer munter gehupt und durchgequetscht! Dabei tauchen aus dem Nichts auch noch hilfreiche Geister auf: Beim Ein- oder Ausparken steht geschwind eine halbwegs zerlumpte Gestalt am Straßenrand, die zwar fleißig aber völlig unbrauchbar einweist, und dann die Hand zum Fenster reinstreckt, um den verdienten Lohn für die ungefragte Dienstleistung zu kassieren. Welcome to Africa!

Da in diesem Chaos die Fahrzeuge zwangsweise eher früher als später in die Werkstatt müssen, haben sich die Jua Kali (Hot Sun / Heiße Sonne) Garages bestens etabliert. Auf irgendwelchen Plätzen werden unter freiem Himmel (also in der prallen Sonne) Autos auf Steinbrocken aufgebockt, komplett zerlegt und wieder zusammengetüftelt. Man wird spontan bedient, bis nach dem Lunch ist das Fahrzeug fertig, günstig isses auch. Da fragt man sich doch, was die bei uns in Deutschland immer für ein Getue mit den Vertragswerkstätten haben!



Manicure: Ampeln einfach mal als Deko nehmen
Helmet: möglichst viel Blech um sich haben

Mittwoch, 14. Juli 2010

Pippilottas und meine Welt

Von Pippi Langstrumpf kann man viel lernen. Das weiß jedes Kind, jeder Dorf-Ganove und jeder Südsee-Pirat.

„2 x 3 macht 4, widdewiddewitt und 3 macht Neune! Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt!“

An Pippis Lebensmotto halten sich auch die meisten Erwachsenen, bewusst oder unbewusst: Sie machen sich ihre Welt, wie sie ihnen gefällt. So entstehen nicht nur neue Welten, sondern ganze Parallel-Universen. Eine oder eines habe ich gestern kennengelernt. Ich war mit einer sudanesischen Freundin und meiner deutschen humedica-Kollegin aus Darfur essen, in einem – natürlich – sudanesischen Lokal in Friedrichshain. Freunde des Hauses führt der Besitzer in den „VIP-Bereich“, eine Wohnung über dem Imbiss, die liebevoll mit Landschafts-Malereien an den Wänden, einem großen Esstisch und einer gemütlichen Sofa-Sitzecke eingerichtet ist. Schon dort zu sitzen, sudanesische Volksmusik zu hören, unglaublich lecker zu essen (der Geschmack erinnerte mich wirklich an Darfur) und zu reden hat mich gefühlt aus Berlin in eine andere Welt versetzt. Dann erzählte meine Freundin davon, wie unglücklich ihre im Sudan lebende Mutter ist – weil sie, die Tochter, noch nicht geheiratet hat und ihr somit keine Kinder beschert. Sie findet ihre Tochter undankbar. Und hält sie für eine Versagerin. Dabei hat die Tochter studiert, es zu einer guten Stellung in der sudanesischen Botschaft in Berlin gebracht, seit Jahren schickt sie ihrer Mutter Geld und kümmert sich auch sonst. Aber das ist nicht das, was in der Welt der Mutter zählt.

Letzte Woche habe ich im Freiluftkino „Die Fremde“ gesehen. Umay, die 25-jährige Protagonistin, ist in Berlin groß geworden. Sie wird mit einem türkischen Mann in Istanbul verheiratet, haut aber irgendwann unglücklich und verzweifelt mit ihrem kleinen Sohn ab, zurück nach Berlin. Sie will dort ein selbstbestimmtes Leben führen. Ein konservatives Rollenverständnis, entsprechende Pflichten und die Familien-Ehre machen ihr das unmöglich. Wie viele Umays leben wohl in Berlin, in ihrem eigenen Universum?

Und wie viele „deutsche“ Welten gibt es in Deutschland, oder allein in Berlin? Wenn man mit dem Zug von Berlin nach Hameln fährt (ja, das habe ich neulich gewagt. Senk ju vor träwelling wiss Deutsche Bahn.) kommt man an Orten vorbei die Elze-Han, Osterwald und Goppenbrüggl heißen und deren Bahnsteige Sandpisten sind. Was machen die Menschen, die da leben? Ok, mein Heimatort heißt Ruit, und ich weiß, Glashaus, Steine und so weiter. Aber man fragt sich das schon ;-)

Oder ein anderes Beispiel aus Berlin: Auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei ist eine trendige, wenn auch leicht trashige (oder gerade deswegen?) Event-Location entstanden. Künstler, Alternative und sonstige Kreative sind hier unterwegs. Auf dem Hof gibt es in einem Kinogebäude die – Achtung, Sie betreten jetzt ein anderes Universum – „Bill Yard“ Bar (schreibt sich wirklich so). Da treffen sich Wochenends die 18-Jährigen aus dem Umland (zumindest die Jungs mit den tiefer gelegten Opel & Cos müssen 18 sein) in hellblauer-Jeans-mit-weißem-Fruit-of-the-Loom-T-Shirt beziehungsweise Marylin-Monroe-Cocktailkleidchen um ein paar Kugeln zu stoßen. Und wer sagt jetzt, welche Welt die echte ist?

Manicure: Öfter mal in eine andere Welt eintauchen
Helmet: Meine kleine Welt

Mittwoch, 30. Juni 2010

Vom Wundern und Freuen

Meine langjährige und inzwischen auch alte Freundin Hanna (95) sagte einmal zu mir: „Katja, die Menschen sind zur Freude da.“ Ich erinnere mich nicht mehr genau an den Zusammenhang, aber ich musste die letzten Tage öfter daran denken. Und ich habe mal wieder entschieden, ihrem weisen Rat zu folgen und über die seltsamen bis absurden kleinen Begegnungen und Begebenheiten einfach zu lachen.

Zum Beispiel über:

…den Koch aus dem Fernsehen. Neulich Abend war ich beruflich auf einem Pressegespräch mit einem TV-Koch. Er hat non-chalant darauf hingewiesen, dass wir die 160-Euro-Trüffel (1-6-0 Euro) auf unserem x-ten Gang genießen sollen, und im nächsten Atemzug mit ernster Miene erklärt, dass die Leute heute verlernt hätten, beim Kochen Respekt vor einer Karotte zu haben, oder Respekt vor einer Zwiebel. Ja, wieso sollte ich denn bitteschön Respekt vor einer Karotte haben? Eine Zwiebel ist wenigstens in der Lage, mir Tränen in die Augen zu treiben, aber eine Karotte? Aber bitte, hier mein Plädoyer: Alle wieder mehr Respekt haben vor Karotten!

…mich. Ich habe eine Zuckerwattemaschine auf ebay gekauft. Wie verrückt kann man denn eigentlich sein? Als der Postbote das Paket nicht mal durch meine Wohnungstür schubsen konnte, wusste ich, ich hätte vielleicht vorher mal nachdenken sollen. Oder besser recherchieren, wie viel 35x35 cm bzw. 52 cm Durchmesser sind, wie schwer 18 kg wiegen und was genau man beachten muss, wenn man eine Profi-Zuckerwattemaschine, so eine wie vom Jahrmarkt (also kein Tchibo-Kinderspielzeug), nach Kenia einführen möchte. Genau das habe ich nämlich vor.

…den Online-Stellenportal-Suchmaschinen-Programmierer. Mein Suchagent für offene Stellen auf einer der üblichen Online-Stellenportale hat mir neulich eine Position als „Auswerter für den Peildienst“ vorgeschlagen. Was ist das denn? Und was qualifiziert mich mit meiner Kommunikations- und CSR-Erfahrung, mich für einen Job zu bewerben, für den man ein Studium der Fachrichtungen Geomatik, Vermessungswesen oder Hydrographie benötigt?

…die mir leider nicht persönlich bekannte Dame aus Neu-Anspach, die laut Leuchtreklame in ihrem Laden „Wäsche, Alltagshilfen, Handpuppen“ verkauft. Und draußen die Badeanzüge der 80er für die füllige Dame ab 70 im Angebot hängen hat. 1A-Lage, 1A-Ware, 1A-Platzierung. Die Preisschilder habe ich nicht angeschaut, leider. Neu-Anspach liegt übrigens hinter Frankfurt, hinter Bad Homburg, hinterm Wald, da kommt dann erst noch ne Weile nichts, und dann kommt Neu-Anspach. Von Tür-zu-Tür vom Flughafen Frankfurt bis Hauptstraße Neu-Anspach (Autostrecke 42,1 km) braucht man öffentlich 2 Stunden, vorausgesetzt man hat Glück und ein herumstehender freundlicher Jugendlicher gibt einen brauchbaren Tipp, welchen Bus man nehmen kann. Taxis machen sich nicht die Mühe, bis nach Neu-Anspach zu fahren.

Das nur als kleine Auswahl. Vielleicht starte ich noch einen zweiten Blog mit dem Titel "Wundersame Menschen zum Freuen". Vielleicht auch nicht, ich schreib derzeit ja hier schon kaum.

Manicure: Freuen!
Helmet: Wundern!

Montag, 31. Mai 2010

Ach Berlin, ick liebe dir

Wieso denke ich eigentlich seit über einem Monat, es würde nichts Berichtenswertes passieren in meinem Leben in Berlin?

Das könnte natürlich zum Einen daran liegen, dass ich etwa 2 der 5 Wochen gar nicht in Berlin war. Sondern in München und kurz in Stuttgart. Die Erkenntnis aus München: Es gibt Städte, in denen noch chaotischer, rücksichtloser und unbeherrschter Fahrrad gefahren wird als in Berlin. München ist definitiv eine davon. Man sollte sich als Fußgänger sehr in Acht nehmen, wenn man sich erdreistet, auch nur in der Nähe eines Fahrradweges gehen zu wollen. Ich habe es gewagt, einen Tag das Fahrrad meiner Kusine zu leihen (Danke nochmals!) – aber das erhöhte mein persönliches Gefühl von Überlegenheit auch nur bedingt und kurzzeitig. Nämlich genau so lange, bis andere Fahrradfahrer mit ihren eigenen Platz-da-Regeln angetreten kamen.
Die Erkenntnis aus Stuttgart, besser gesagt Reutlingen: Es gibt noch Hoffnung! Und zwar für die heutige Studentenschaft. Ich habe beim „Alternative Career Forum“ in meiner Alma Mater einen Vortrag gehalten. Zuerst war ich ja nicht so sicher, ob das ein Kompliment oder eher eine nette Form des Bedauerns ist, dass ich eine „Alternative Career“ gemacht habe und deswegen als Referentin angefragt werde. Wieder mal die Frage: Wo ist oben und unten? Wer bestimmt, was normal ist? Sei’s drum, die Studenten haben sich sehr für Berufs- und Lebenswege abseits von Unternehmensberatung und Internet-Start-Up interessiert, und das hat mich gefreut und außerordentlich Spaß gemacht, mit den „jungen Leuten“ (tja) zu diskutieren.

Und Berlin? Berlin hat mich im letzten Monat mit zwei schönen Plätzen beglückt, der eine altbekannt und regelmäßig frequentiert, der andere neu eröffnet und von mir das erste Mal besucht: Der Mauerpark im Osten, gleich vor meiner Haustür, und das Tempelhofer Feld im Westen. Im Mauerpark ist wieder Sommer-Sonne-Sonnenschein mit allem was dazu gehört angesagt, immer schön (auch wenn es sich derzeit meistens noch nach Herbst-Hängewolken-Himmelsgrau anfühlt). Und das Tempelhofer Feld – schon mal auf nem Flughafen-Rollfeld Spazieren gegangen? Mit Blick auf ein bombastisches Gebäude und dem Gefühl, man wird von Geschichte nur so umwabert? Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Außer: Ach Berlin! Berlin, ick liebe dir! Ick liebe dich. Wie's richtig is, det weis ick nich. Ick liebe dir uff alle Fälle. (A. Be.)


Die sonntägliche Karaoke-Show im Mauerpark

Manicure: Entspanntes Radeln in Berlin
Helmet: Sollte man haben beim Fahrradfahren in München

Mittwoch, 28. April 2010

Die Weltverbesserer

Am Montag musste ich leider feststellen, dass meine Fähigkeit, die Wetterlage in Berlin realistisch einzuschätzen, noch nicht so überragend ist. Im Sudan war das einfach: blauer Himmel, Sonne, Hitze, fertig. Jeden Tag. Kein Problem mit der Kleiderauswahl (langärmlig – der Kultur, nicht dem Wetter angepasst). Hier ist das anders. Total unvorhersehbares Aprilwetter: kalt, warm, nass, trocken. Und alle Schattierungen dazwischen, innerhalb eines Tages. Prompt hat es also Montag Abend angefangen zu regnen, als ich mich aufs Fahrrad geschwungen habe, um zur Bandprobe in die Gemeinde zu radeln. Dabei sah es eben noch trocken aus! Irgendwie hat mich das ganz schön genervt. Regen im Gesicht (gut für den Teint, trotzdem unangenehm), die Jeans wird nass, die Hände kalt. Da hat mich auch der Gedanke nicht getröstet, dass woanders auf dieser Welt Menschen mit Dürre kämpfen und dankbar wären für jeden Tropfen Regen. Oder ich wenigstens nachher in ein warmes Haus komme, wo ich wieder trocknen kann, während andere in monsunartigen Regen über Wochen kein ordentliches Dach über dem Kopf haben. Gerade komme ich zurück aus einem wenig privilegierten Land, habe meine Maßstäbe und Prioritäten mal wieder ein wenig angepasst und ärgere mich trotzdem über Regen! Naja, so ist das wohl. Guter Mensch hin oder her.

Wer sind überhaupt „die Guten“? Also mit der Zugehörigkeit zur sogenannten sozialen Branche hat das jedenfalls nichts zu tun. Ein Vertreter dieser Zunft hat das gestern auf anschauliche und praktische Art und Weise verdeutlicht. Ich war auf einer Konferenz des DZI (vergibt das „Spendensiegel“), Teilnehmer waren hauptsächlich die Geschäftsführer sämtlicher gemeinnütziger und spendensammelnder Organisationen, die man in Deutschland so kennt. War früh da, und habe mir einen Platz an einem Tisch reserviert, indem ich die Tagungsmappe zusammen mit meiner Zeitung auf einen Stuhl gelegt habe. Ein Handtuch hatte ich ja nun leider nicht dabei! Bis ich zehn Minuten später wieder in den Saal kam, saß da jemand an meinem Platz, genauso wie an allen anderen begehrten Tischplätzen. Nur noch Stühle in den eng gestellten hinteren Reihen frei. Meine Zeitung lag auf dem Tisch, vor ihm. Ich bin zu dem Herrn hin, und dachte ich probier’s mal unaufdringlich auf diese Tour: „Entschuldigen Sie bitte, das ist meine Zeitung, oder?“ Ich habe mir eingebildet, er würde so was sagen wie, oh, ja, Entschuldigung, wollten Sie hier sitzen? Woraufhin ich natürlich gesagt hätte, ja, habe mir den Platz reserviert, aber kein Problem, bleiben Sie ruhig. Aber was sagt der moderne Hilfsorganisations-Mensch? „Ich weiß nicht, ob das Ihre Zeitung ist. Nehmen Sie sie mit!“ Ist doch schön, wenn man von guten Menschen umgeben ist.

Aber dass nicht überall, wo „better“ draufsteht, auch „better“ drin ist, das habe ich ja bereits letztes Jahr gelernt…

Manicure: feststellen, dass die anderen Weltverbesserer sich im Alltag auch nicht immer leicht tun
Helmet: hatte ich leider nicht dabei, war ja aber nicht so schlimm

Sonntag, 18. April 2010

Eigentlich müsste man mal…

Warum macht man eigentlich so selten, was man eigentlich mal müsste, könnte, wollte? Ich jedenfalls habe mir heute mit einer Freundin den Luxus gegönnt, das einfach mal zu tun. Ein herrlicher Urlaubs-Sonn-Tag in Werder, von Berlin aus in null-komma-nix mit der Bahn da, und dann einfach nur wohl sein! Der freundliche Abschluss unserer Genießer-Bummelei war ein Fischbrötchen von dem winzigen Fischlädchen im ehemaligen Wachlokal an der Inselbrücke. Und zwar – ganz wichtig – das Brötchen: Ohne Deckel! Die Oma-Fischverkäuferin war da sehr bestimmt. Man will doch sehen, was man isst! Die Leute heutzutage sind alle verdorben durch McDonalds, seit die da immer einen Deckel auf die Bulette machen! Recht hat sie. Der geräucherte Aal sah lecker aus, und genauso hat er auch geschmeckt, ohne Pappbrötchen drum rum. Und für 1,50 Euro hat Oma soviel Aal auf die Brötchenhälfte gepackt, dass es für die zweite Hälfte auch noch gereicht hat. Die hat sie uns nämlich lose mitgegeben, falls wir „ohne Deckel“ wider Erwarten und besseres Wissen nicht mögen.

Ansonsten: Ich bin wieder da! Jetzt auch gefühlt... Die letzten zwei Wochen war ich allerdings mächtig unterwegs. Zwar nur in Süddeutschland – aber das ist im Vergleich zu der ausschließlichen 3-minütigen Pendelei zwischen Guesthouse und Büro im Sudan schon rekordverdächtig! Wie sagte mein neuer Kollege so treffend, meine Wurzeln sind da, wo mein Koffer ist… Und glücklicherweise habe ich ja noch einen Koffer in Berlin!
Das schöne an meiner Tour war, dass ich in München und an den beiden Wochenenden in Stuttgart und im Allgäu viele alte Freunde und meine Eltern besucht habe. Offizieller Anlass der Reise war mein Einarbeiten bei der Stiftung „Menschen für Menschen“ (www.menschenfuermenschen.org), für die ich seit 01. April tätig bin. Ich werde mich um die Unternehmenskooperationen der Äthiopienhilfe kümmern. Das passt einfach toll zu dem, was ich früher bei Daimler gemacht habe, ich freue mich sehr darauf. Die Stiftung sitzt in München, ich werde aber in Berlin wohnen bleiben und viel von hier aus arbeiten. Es wird also bestimmt auch mal eine Geschichte aus der bayerischen Hauptstadt geben…

Manicure: Ein Eigentlich-müsste-man-mal-Tag
Helmet: Ein Koffer in Berlin



Meine Flur-Prosa

Mittwoch, 17. März 2010

Auf Wiedersehen, Inshallah!



Was sagt man, wenn zwei intensive, glückliche Monate in einer völlig anderen Welt zu Ende gehen? Was sagt man sich selbst, was denen, von denen man sich verabschiedet? Wohl wissend, dass man höchstwahrscheinlich nie mehr zurück kommen wird. Aber wer weiß das schon? Also sage ich auf Wiedersehen, Inshallah, so Gott will: auf Wiedersehen.

Im Büro übergebe ich die paar offenen Themen, die noch auf meinem Tisch liegen. Eine Kollegin übernimmt die letzten Vorbereitungen für die Mitarbeiterfeier am Donnerstag. Mein Chef kümmert sich jetzt erstmal wieder alleine um die neuen Partner für die Kliniken. Den Bericht über die Februar-Aktivitäten im Camp-Kindergarten werde ich Zuhause noch überarbeiten und verschicken. Dann verabschiede ich mich von den sudanesischen Kollegen, sehr herzlich, sehr persönlich. Mein Büro-Kollege ist leider nicht da, er hat in einem Flüchtlingslager zu tun – umso mehr freue ich mich, als er mir später auf den Flughafen nachfährt, um Lebwohl zu sagen. Seine Familie (die in „Haus 1“ mit der ersten von zwei Frauen) lässt auch grüßen, die Kinder fragen, wann ich mal wieder zu Besuch komme. Hach, wohl nicht so schnell. Aber wir sehen uns wieder, Inshallah.

Noch für ein schnelles Mittagessen mit den anderen Expats ins Guesthouse. Es fällt mir schwerer als gedacht, mich von dem Leben hier, von den Menschen, von meinem Expat-Team zu verabschieden. So genau weiß ich gerade noch gar nicht, was das ist, woher das Gefühl kommt – schließlich sind zwei Monate auch nicht so lange, das Leben war recht eingeschränkt, und das Arbeiten immer wieder schwierig. Aber wir haben uns so unsere Oasen geschaffen, gerade auch als Team. Ja: Ich wäre gerne noch geblieben. So sehr ich mich auf Berlin freue, auf Familie und Freunde und ein freies Leben. Ich beschließe, einfach so zu tun, als ob ich nur für ein paar Tage nach Khartoum fahre, ein neues Visum beantragen. Also winkt das Team am Tor: Bis bald, mach’s gut in Khartoum! Komm schnell und gesund wieder! Inshallah.

Und so verabschiede ich mich von Darfur.

Manicure: Viele „Auf Wiedersehen, Inshallah!“
Helmet: Auf Zuhause freuen




Nass bis auf die Haut

Unglaublich: am Montag Abend hat es geregnet! Ach was – geschüttet hat es! Ich stand gerade draußen vor der Küche, als ich die ersten feinen Tropfen gespürt habe. Im ersten Moment dachte ich, dass die Guards mal wieder vergessen haben, die Wasserpumpe abzustellen und unser Wassertank in vier Meter Höhe so wild überläuft, dass es bis zu mir spritzt. Aber irgendwie konnte das doch nicht sein. Also bin ich nach vorne in den Garten – auch da: es tropft Wasser vom Himmel! Herrlich! Den Regen riechen, im Wind stehen, die kühlen Tropfen auf der Haut spüren. Ein Geschenk des Himmels.

Denn eigentlich kann es gar nicht sein, dass es Mitte März regnet. Es ist einfach die falsche Jahreszeit, die Regenzeit fängt erst im Juni an. Trotzdem: Nach den ersten vorsichtigen Tropfen hat es eine Stunde lang wie aus Eimern gegossen. Und dann war der Regen genauso plötzlich wieder weg, wie er gekommen war. Am andern Morgen sind noch ein paar große Pfützen in den Sandstraßen, aber der Himmel ist wieder genauso unschuldig blau wie an jedem anderen Tag.

Manicure: wie ein Kind im Regen tanzen
Helmet: ein Dach überm Kopf

Donnerstag, 11. März 2010

Kleiner, aber feiner Humor

Ich finde es immer wieder herrlich, wie humorvoll meine sudanesischen Kollegen sind. Sie verulken einen, erzählen sich lustige Geschichten und greifen alle Späße gerne auf.
Heute Mittag zum Beispiel bin ich raus, einen Fahrer organisieren. Das geht aber nicht mal eben so, nein, man wird eingeladen sich erstmal gemütlich dazu zu setzen, die halbe Büro-Truppe sitzt draußen, qualmt oder quatscht. So weit, so gut, wie in jedem deutschen Betrieb. Auf dem Tisch liegt eine sudanesische Tageszeitung. Die schnapp ich mir und schaue interessiert rein. Bis jemand sagt: He, Khadiga, das ist doch arabisch, das kannst du gar nicht lesen! - Ach...?! Ist mir gar nicht aufgefallen... Die ersten Lacher. Ich protestiere: Klar kann ich das lesen! Und fange mit ernster Miene gleich an: Gestern besuchte der Präsident die Stadt... Die nächsten Lacher! Und wie aus der Pistole geschossen ein anderer sudanesischer Kollege: Das kann doch gar nicht sein, dass das da steht, du hast den Sportteil in der Hand! - Noch mehr Lacher! ...witzig...

Dass der sudanesische Präsident in Nyala war, ist übrigens kein Witz. Allerdings haben wir nichts, aber auch rein gar nichts davon mitbekommen. Vormittags liefen ständig Meldungen über den Funk, dass allen Hilfsorganisationen dringlichst angeraten wird, alle Bewegungen (oder wie übersetzt man „movements“?) soweit wie möglich einzuschränken. Das haben wir denn auch getan, und den ganzen Tag das Büro nicht verlassen. Zum Einen haben wir von den ankommenden Kollegen schon Morgens von einem großen Aufgebot an Polizei und Militär inklusive Straßensperren gehört, zum Anderen wollten wir nicht den Studenten in die Arme laufen, die bei uns in der Ecke ihr Studi-Büro haben und gerne mal Autos mit Steinen bewerfen. Ich habe am anderen Tag versucht, irgendeine Meldung über den Staatsbesuch zu finden, aber nichts. Es war wohl eine kleine Kampagne für die Wahlen, die Anfang April statt finden sollen. Aber wenn schon über den Präsidenten kein Foto und keine Zeile aufzutreiben ist, muss ich mich zumindest nicht wundern, dass man mir das Fotografieren verbietet. Ergo: Kein Foto in diesem Blogeintrag!

Manicure: Sudanesische Tageszeitung auf arabisch lesen
Helmet: Mittagessen ins Büro bringen lassen

Dienstag, 9. März 2010

Es gibt Fleisch! Fi Lahman!

Ich mag Fleisch. Und wer Fleisch mag, kommt hier voll auf seine Kosten. Schaf, Ziege, Huhn, Rind, Kamel. Rippchen, Geschnetzeltes, Flügel, Brust, Leber, Keule. Mit Knochen ausgekochte Fleischbrühe, Hackfleisch und Frittiertes.
Man sollte sich allerdings gut überlegen, ob man selbst auf den Fleischmarkt geht – wenn man so eine Kuh-Hinterhälfte samt Beinen baumeln sieht, oder die Ziegenkeulen neben den kopflosen Hühnern, das Ganze ungekühlt und von Fliegen umschwirrt in der Sonne, da braucht es schon gute Beziehungen zum eigenen Magen! Und eine gesunde Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass man genau dieses Fleisch täglich isst. Wobei, wahrscheinlich ist es gesünder als das meiste, was man in deutschen Kühlregalen so findet.

Neulich waren wir wieder mal auf dem Grillfleischmarkt am Stadtrand. Das ist eigentlich ein einziges großes Männergrillen: Robuste Steingrills, ordentliche Kohlen, ein Maschendraht drüber, und Fleisch, nichts als Fleisch darauf. Das kann man sich entweder roh vom Metzgerhaken angeln und grillen lassen, oder eben ein fertiges Stück aussuchen. Serviert wird es dann in kleine Stückchen gehackt, hier und da ein paar Knochen zum Abnagen, Brot dazu, wenn’s gut läuft etwas Salat und vielleicht Humus. Und das Ganze auf dem ewigen großen, silbernen Tellertablett, für alle zum Zugreifen.

Manicure: ein wenig Alibi-Salat zum Fleisch
Helmet: mehr Fleisch



Freitag, 5. März 2010

Wo die großen Jungs spielen

Mal wieder Freitag – Wochenende! Die Zeit fliegt dahin, ein gutes Zeichen. Wir waren die letzten Tage im humedica-Büro sehr damit beschäftigt, einen neuen Partner für die Kliniken in den Flüchtlingslagern zu finden. So wie es aussieht, waren wir erfolgreich: Die Arbeit, die humedica hier über sechs Jahre aufgebaut hat, wird von einer anderen Hilfsorganisation übernommen und weitergeführt.
Trotz viel Arbeit und mancher Nerven wegen der Sicherheitseinschränkungen und kultureller Eigenheiten hat mich heute nach einem halben freien Tag schon wieder die Langeweile und damit der Rappel gepackt. Ich muss einfach mal vor die Tür! Nur im Garten abhängen, so schön und so gemütlich der ist, seit ich darin ein Bett aufgestellt habe – das ist nichts für mich.

Also raus. Ich kann meinen kenianischen Kollegen begeistern zu einem Spaziergang mitzukommen. Mein Ziel: das ausgetrocknete Flußbett am Rand der Stadt, da will ich schon längst mal langlaufen. Auf dem Weg dorthin lädt unser Fahrer uns ein, in seinem 3-Generationen-Zuhause auf einen kleinen arabischen Kaffee reinzuschauen. Die 1-jährige Tochter seiner Schwester hat gerade „Küsschen geben“ für sich entdeckt und so bekomme ich unzählige schmatzige und dahin gehauchte Küsse auf die Wange. Wie herrlich, das tröstet mich ein wenig darüber hinweg, wie viele Kilometer meine Nichten, Neffen und Patenkinder von mir entfernt sind. Dann fahren wir weiter – und schnurstracks durchs Wadi durch und vorbei! Ich will da doch spazieren gehen! Aber das Konzept von „einfach so durch die Gegend laufen“ ist den Sudanesen eher nicht geläufig. Außerdem behauptet unser Fahrer, dass das hier zurzeit zu gefährlich sei, die Militärmilizen oder Rebellen streifen herum (meistens weiß man nicht so genau, wer wer ist). Prompt sehen wir auch eine Truppe auf Kamelen vorbereiten, traditionell gekleidet, die Waffen in bunt verzierten Halftertaschen stecken. Ein seltener Anblick, sonst fahren sie in ihren Tarnanzügen mit offenen Jeeps und großen aufgesteckten Gewehren duch die Stadt.



Wir fahren vorbei an einem Lager am Ufer des Wadi, die winzigen Hütten sind aus Pappe, Stoff und irgendwelchem übrig gebliebenen Material zusammengeschustert. Unvorstellbar, wie man hier leben kann. Zehn Minuten später landen wir in einem parkähnlichen Wald – der aus lauter Mangobäumen besteht! Musik schallt zwischen dem Grün durch, hier und da sitzen Gruppen von Männern zusammen, spielen Karten, lesen Zeitung, trinken Tee, klönen und rauchen. So verbringen die Herren also ihren freien Tag! Während ihre Frauen zuhause hinter der Mauer sitzen. Wir schlendern ein wenig herum, aber wirklich spazieren gehen kann man hier nicht, und, wie unser Fahrer mit einem Grinsen bemerkt, mit mir schon gar nicht. Zu weiß, zu weiblich. Also rumpeln wir wieder ins Guesthouse zurück – aber die zwei Stunden Abwechslung waren großartig!



Manicure: sowas ähnliches wie spazieren gehen
Helmet: ein Fahrer, der sich gut auskennt

Samstag, 27. Februar 2010

Schrippen im Sudan



Seit ich in Berlin lebe, fehlen mir die guten schwäbischen Backwaren: Körnerweckle, Hefezopf, Papas selbst gebackenes Brot – und: Brezeln! Seit ich im Sudan bin, weiß ich zumindest die relative Vielfalt der Berliner Bäcker zu schätzen. Denn hier gibt es genau eine simple Sorte Brot, die gleichzeitig Brötchen ist. Schrippen für alle und allezeit, sozusagen. Die kleinen Fladenbrote schmecken frisch sehr lecker; am nächsten Tag sind sie nur noch getoastet halbwegs genießbar.
Als ich heute früh die Brötchen fürs Samstagsfrühstück geholt habe, hatte ich das Vergnügen, unserem Bäcker über die Schulter zu schauen. In Fließbandarbeit werden die kleinen Teigbällchen aus der Masse geteilt, geformt und dann platt gedrückt. Auf großen Brettern werden die Fladen zum Ofen geschafft, eine halbrunde Ziegelsteinkonstruktion mit einer kleinen Öffnung vorne und einem Kamin. Rechts in der Ecke brennt das Holzfeuer, links und in der Mitte werden die Brote auf langen Schiebern in den Ofen rein und wieder raus befördert. Innerhalb von Minuten sind die dünnen Fladen fertig gebacken, sie gehen erst mächtig auf, und fallen dann wieder zusammen. Die Fladenbrote werden per 4 Stück verkauft, zum Preis von 1 Sudanesichen Pfund, das sind etwa 30 Cent.
Unsere radebrechende Unterhaltung kreiste nach der Wetter-Frage um das immer wiederkehrende, allen Sudanesen unter den Nägeln brennende Thema: Warum um alles in der Welt haben deutsche Männer nur eine Frau? Da kriegt man doch niemals genug Kinder?! Puh... ich nehme meine Brote und verschwinde. Mein flotter Abgang hat noch einen zweiten Grund: Ich möchte nicht, dass ich oder meine Kamera noch wegen unerlaubten Fotografierens einkassiert werden. Denn vorhin kam so ein kleiner, wichtig auftretender und ziemlich verärgerter Sudanese in die Bäckerei – er hat wohl gesehen, dass ich das Brennholz vor der Bäckerei fotografiert habe, und ist damit ganz und gar nicht einverstanden. No photos! No! Ist gut, no problem, ich frage mich zwar, was genau an dem Fotomaterial geheimdienstlich und kompromittierend verwendbar ist, aber mache die anderen Bilder in der Bäckerei heimlich aus der Ecke – der Bäcker ist nämlich einverstanden und versteht die Aufregung auch nicht.
Wieder Zuhause merke ich: Der Bäcker hat mir 10 statt 8 Fladenbrote eingepackt. Das ist doch mal nett! So schafft man treue Kundschaft!

Manicure: frisch gebackenes Fladenbrot – mit Nutella!
Helmet: Kamera verstecken


Dienstag, 23. Februar 2010

Ein unmoralisches Angebot

Eins muss man den Sudanesen lassen: Sie haben unwahrscheinlich Humor! Ich hoffe jedenfalls sehr, dass der Head of Sheiks im Flüchtlingscamp Al Salam einen Witz machte, als er mir mit ernster Miene erklärte, sein Stamm stünde ja in irgendeiner Verbindung mit Deutschland und mich dann fragte, ob ich ihn heiraten will (als Frau Nummer 3 oder 4, wohlgemerkt). Ich habe mich natürlich flugs aus der Affäre gezogen und geantwortet, das könne ich leider sowieso nicht entscheiden, er müsse mit meinem Vater in Deutschland besprechen, wieviel Kühe ich koste. Das fanden alle Sheiks (die Oberhäupter der verschiedenen Stämme, die im Lager leben) sehr zum Lachen. Als wir uns dann verabschiedet haben, und der Ober-Sheikh meinen sudanesischen Kollegen nach der Telefonnummer meines Vaters fragte, war ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob ich das noch so amüsant finde!

Mindestens genauso spaßig und manchmal auch absurd ist die Situation, wenn ich mich vorstelle. Irgendjemand hat mal meinen Namen nicht so richtig verstanden – Ka-ti-ja? Das klingt ja wie das arabische Khadeeja, ist ja prächtig, die Deutsche hat einen arabischen Namen! Und was für einen! Khadeeja war die Frau Mohammeds. Da stehe ich nun, blond und in Hosen, die Mutter aller Moslems. Jedesmal ein großer Grund zur Erheiterung für meine sudanesischen Kollegen, die sich gar nicht satt sehen können an den zuerst verblüfften und dann lachenden Gesichtern und mich inzwischen selbst nur noch Khadeeja rufen. Eine Lehrerin in der Campschule konnte es auch nicht fassen und hat mehrmals gefragt, ob ich wirklich so geboren wurde, als Khadeeja. Und der bereits in Würden ergraute Direktor der Arbeitsbehörde hat sich über die Namensgleichheit mit seiner eigenen Mutter gefreut – und mich dann auch so verabschiedet: „Auf Wiedersehen, Khadeeja, meine Mutter!“

Manicure: ein arabischer Name und fünf Brocken arabisch
Helmet: die Telefonnummer meines Vaters wird nicht herausgegeben!

Sonntag, 21. Februar 2010

Etwas ist besser als nichts

„Something is better than nothing“ – so hat mein Kollege das sudanesische Sprichwort übersetzt, das ich heute morgen spontan bei einem Workshop interpretieren sollte. Mitte des Jahres verlässt humedica Darfur, und so wird zur Zeit viel Energie in Workshops und Trainings investiert. Die lokalen Authoritäten und Gruppen sollen motiviert und ausgebildet werden, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen und wo möglich die Arbeit weiter zu führen. Je eine Woche lang werden sogenannte „Community Health Committees“ in den Camps geschult. Heute war ich in Al Salam mit dabei, als humedica-Vertretung zur Begrüßung am ersten Tag. Das Sprichwort habe ich mit unserem deutschen „Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“ veranschaulicht und ein bisschen darüber philosophiert, was sie da Wertvolles von humedica in die Hand bekommen haben. Muss mir aber auch eingestehen, dass „etwas“ im Sudan viel, viel weniger ist als in Deutschland. Und nichts noch weniger.



Bis wir allerdings da waren... im Camp, meine ich. Um 10 vor 9 sollte es losgehen. Um 10 nach 9 waren wir soweit. Mussten dann aber noch jemand von der sudanesischen Superbehörde, zuständig für alle Hilfsorganisationen, abholen, der auch noch ne halbe Stunde auf sich warten ließ. Bis wir dann durch die Checkpoints waren, kamen wir 1 Stunde zu spät an. Machte aber nichts, von den Workshop-Teilnehmern war auch erst ne Handvoll da! Puh, da muss die pünktliche deutsche Seele tief durchatmen.



Zwischendurch bin ich für ne Stunde die Campschulen von humedica besuchen. Eine für Mädels, eine für Jungs. Wie überall kommen die Kinder gleich angelaufen, mit ihrem typischen fröhlich-lauten „Okay! Okay!“. Die Lehrerinnen in der Jungs-Schule laden mich spontan ein, ihr Mittagessen zu teilen: Fladenbrot in Stücke gerissen und mit irgendwas vermischt, Humus und Gemüse sind erkennbar dabei. Und wie immer: alle mit den Fingern von einem Teller! Besonders schön, nachdem ich eben geschätzte 200 Kinderhände geschüttelt und Köpfe und Arme getätschelt habe. Glücklicherweise kennt man hier die Schweinegrippe nicht, und ich habe einen robusten Magen – denn kneifen gilt nicht, ganz im Gegenteil: Ich werde immer wieder ermuntert, doch noch mehr zu essen. Es schmeckt, also gerne!



Auf der Rückfahrt fragt mich der Workshop-Trainer, welche Gemeinsamkeiten die deutsche und die sudanesische Kultur haben. Da muss ich doch erstmal nachdenken. Gastfreundschaft? Sudanesisch! Pünktlichkeit? Deutsch! Bürokratie? Beide – aber tatsächlich Sudan noch etwas mehr. Das-erledigen-wir-mal-eben-Einstellung? Deutsch! Geht-schon-alles-irgendwie-Einstellung? Sudanesisch!

Manicure: Faszination Kulturen
Helmet: Blick auf die Uhr vermeiden

Donnerstag, 18. Februar 2010

Warum ich weiterhin Hosen tragen werde



Jeden Morgen, wenn ich gegen halb neun ins Büro gehe („November Whisky Charlie 6.4 leaving golf hotel for oskar. Over.“), sehe ich gegenüber eine Gruppe Frauen bei der Arbeit. Zwischen Säcken und aufgeschütteten Bergen von irgendeinem getrockneten Getreide hocken und stehen sie, stampfen mit großen Mörsern in Holzgefäßen, trennen im Wind die Spreu vom Weizen (oder irgendwas von irgendetwas anderem) und füllen alles wieder in Säcke. Ein Esellastwagen steht bereit, um die Fracht mitzunehmen. Ich guck mir das näher an: Es ist Kaffee! Getrocknete Kaffeekirschen, die Hüllen werden aufgestampft, die Bohnen aussortiert und wieder verpackt. Ja verflixt, wieso trinke ich dann immer noch Instant? Aber diesen Kaffee werde ich in Nyala wohl nicht geröstet finden – er kommt auf verschlungenen, unbekannten Wegen ins Land, und genauso verlässt er ihn auch wieder nach diesem Produktionsschritt, soviel konnte ich rausfinden. Höchstwahrscheinlich arbeiten die Frauen genauso wenig registriert.

Es gibt noch eine anderen Job hier, den oftmals Frauen machen und den ich garantiert nicht machen wollte: Steine klopfen. Außerhalb von Nyala wundert man sich im Vorbeifahren über aufgeschüttete Erdhügel, mal nur Sand, mal kleine Kiesel, mal größere Steine. Tatsächlich ist es eine Art Tagebau: Die Frauen graben in der prallen Sonne Löcher, werfen den Dreck durch grobmaschige Gitter und sieben so das erste Mal. Anschließend wird weiter getrennt, je nach Größe der Steine. Die großen werden mit einem Hammer klein geklopft. Der ganze Schotter geht dann in eine Ziegelei, oder direkt irgendwohin, wo gebaut wird. Da sind dann natürlich auch wieder die Frauen dabei, Ziegel schleppen und so.

Und das Ganze im femininen sudanesischen Tuch. Da lasse ich mich doch gerne mal von dieser netten Gruppe Frauen verwundert angucken, wieso ich denn Hosen anhätte – ich sei doch auch eine Frau wie sie...



Manicure: wieder Hoffnung auf ne Tasse Kaffee
Helmet: Jeans, Baggy-Pants und Sommerhose

Samstag, 13. Februar 2010

Normalität. Ist das normal?



Ich lasse die vergangene Woche in meinen Gedanken Revue passieren. Was war neu, herausragend, was hat mich bewegt? Erstaunt stelle ich fest, dass ich das Leben hier irgendwie schon ganz normal finde. Ab und zu fällt der Strom aus, vor ein paar Tagen ist mit einem rauchigen Puff wahrscheinlich deswegen mein Computerkabel durchgeschmort (seither funktionieren leider auch einige Tasten nicht mehr), ich trinke süßen arabischen Tee statt Kaffee, ein Kopftuch und das Walkie-Talkie sind meine ständigen Begleiter, meine Definition von „pünktlich“ ist den Landessitten gemäß nur noch sehr vage, es fahren mehr Eselkarren als Autos, im Büro arbeite ich mit meinen Fertigkeiten, die ich auch in einem deutschen Büro einsetze (womit auch sonst?).

Und dann frage ich mich, was erwarte ich eigentlich, wenn ich in ein fremdes Land fahre? In ein Land, das man sich nicht so recht vorstellen kann, weil es wenig Bilder, wenig Beschreibungen gibt – die Regierung weiß das zu verhindern. Was unterscheidet die Menschen hier, was macht das Leben anders? Auch hier wachsen Bäume, die wie Bäume aussehen, die Menschen sind Menschen, sie gehen einer Beschäftigung nach, sie essen, sie schlafen.

In Berlin wäre ich heute Morgen mit Freunden einen Kaffee trinken gegangen, vielleicht nach einer Runde über den Wochenendmarkt aufm Kollwitzplatz. Hier gehen wir mittags zu Al Djenina, ein Fleischmarkt mit Barbecue. Ziegenkeulen und Schafrippchen brutzeln über Kohlenfeuern, es riecht (und schmeckt) ausgesprochen lecker, und ringsum sind kleine Buden, in denen man sich zum Essen setzen kann. Zwar führt keine Strasse dahin; es gibt sowieso nur wenige geteerte Straßen, man holpert so durch die Landschaft, wo offensichtlich schon mal jemand gefahren ist. Aber was macht das schon?

Ja, natürlich ist das Leben anders. Die Flüchtlinge in den Camps leben ohne Strom und fließend Wasser. Sie sind abhängig von Lebensmittellieferungen. Die Frauen stehen mit Plastikkanistern an den Wasserstellen an. Die Kinder haben Glück, wenn sie in eine der Campschulen gehen können. Die Männer haben noch mehr Glück, wenn sie bei einer der vielen Hilfsorganisationen angestellt sind. Und so hat sich auch in den Lagern über die Jahre ein „normales“ Leben entwickelt. Es gibt einen Markt, nach der Regenzeit wird auf der Fläche rings um das Lager Gemüse angebaut, links und rechts klingeln Handys mit den absurdesten Melodien – vom Titanic-Titelsong über Bollywood-Gedüdel.

In Treffen mit den Sheiks, den Oberhäuptern der Stämme, diskutieren wir stundenlang. Persönliche Interessen, Machtbedürfnis und Stolz bestimmen oft das Ergebnis. Aber ehrlich, kommt mir das nicht irgendwie bekannt vor? Nach einer Vorsichtsmaßnahme in einer unserer Lager-Kliniken verbringe ich einige Zeit mit den lokalen Angestellten. Wir haben die Klinik für zwei Tage geschlossen, weil es Unruhen gab. Ich erkläre, höre ihre Bedenken, frage nach, erkläre wieder. Schließlich sind sie ganz zufrieden, dass sie nun den Hintergrund kennen, mit einbezogen sind. Ich denke: das geht doch jedem Mitarbeiter so, in jedem deutschen Betrieb, man will verstehen, was „die da oben“ entscheiden und warum. Das ist ganz normal.

Ich könnte noch stundenlang und seitenweise weiter Vergleiche anschauen. Aber ich glaube, mehr Text will keiner lesen, jedenfalls nicht in einem Blog. Ist ja auch irgendwie normal.

Manicure: meinen Gedanken nachhängen
Helmet: Normalitäts-Kurve anpassen



Sonntag, 7. Februar 2010

Freudenschüsse und Trauergeheul

Gestern nachmittag hören wir Schüsse in der Nachbarschaft. Erst einen, dann eine kurze Pause, einen zweiten, und einen dritten Schuss. Zu unserer Erleicherung kommt gerade unser Fahrer zu uns in den Garten und erklärt gleich, dass es Freudenschüsse sind, weil ein Sohn geboren wurde. Al-Hamdolillah! Gelobt sei Gott! Es ist ein Sohn! Und vor allen Dingen: Es gibt keinen Ärger bei uns um die Ecke... das Wochenende bleibt also entspannt.

Am Abend erfahren wir, dass eine unserer Krankenschwestern aus einer Camp-Klinik gestorben ist. Heute morgen gibt es eine kurze Ansprache im Büro, und wir fahren geschlossen zu der trauernden Familie. Trauern ist Gemeinschaftssache, und das schließt den Arbeitgeber mit ein. Die Männer sitzen draußen auf Matten, die Frauen drängen sich in einem kleinen Raum, etwa 20 Kolleginnen, Freundinnen, Angehörige. Sie weinen, zwischendurch ist Ruhe, dann weinen und klagen sie wieder los, umarmen sich, bergen ihr Gesichter in ihren Händen oder dem Kopftuch. Wenn eine neue Gruppe Frauen dazukommt, halten sie die Hände mit den Handflächen nach oben, rezitierien etwas – wohl ein Gebet – führen die Hände an den Fingerspitzen wieder zusammen und nach unten. Auch hier hört man tausendfach das „Al-Hamdolillah“. Ja, bete ich, gelobt sei mein Gott, der mein Leben vom Anfang bis zum Ende in der Hand hält.

Manicure: Luftschüsse
Helmet: Al-Hamdolillah

Samstag, 6. Februar 2010

Schmutzige, schwitzige, liebe Kinderhände



Vergangene Woche habe ich das erste Mal ein Flüchtlingslager besucht, nicht weit außerhalb von Nyala gelegen. Für einen Camp-Kindergarten mit knapp 300 Kindern soll eine neue Partnerorganisation gefunden werden, jetzt, wo humedica das Land verlässt. Zur Vorbereitung auf die Prüfung verschiedener möglicher Partner fahren wir erstmal zum Kindergarten raus. Wir sind zu zweit unterwegs, der für die Bildungsthemen verantwortliche sudanesische Kollege und ich. Er möchte, dass wir mit zwei Fahrzeugen fahren, er in einem, ich in dem anderen. Warum, frage ich. Zwei Fahrzeuge sind ein Konvoi, und das ist sicherer, kommt die Antwort. Okay, dann also zwei Autos, und das inzwischen zur Gewohnheit gewordene Meldung geben per Funk.

Von weitem zeigt mein Fahrer auf ein paar Hütten, ich sehe ein paar Plastikplanen im Wind flattern – aber da er kein Englisch spricht und ich nicht wirklich Arabisch, bin ich mir nicht sicher, ob es das Camp ist. Wir erreichen die Siedlung. Die ersten paar Hütten sind komplett aus hellem Stroh gebaut, einfach Strohbündel aneinander gestellt, darüber Stroh gelegt, das Ganze vielleicht anderthalb Meter hoch. Dann kommen ein paar Lehmhütten mit Strohdach, ein paar feste Häuser, ein paar Strohhütten mit Planen als Dach, und schließlich eine kleine Marktstraße. Die Markthändler sitzen auf dem Boden oder auf niedrigen Hockern, vor sich ihre Ware, hier kleine Tüten mit frisch gerösteten Erdnüssen. Auf einmal biegen wir rechts in ein Tor ein, auf ein umzäuntes Gelände mit mehreren flachen Gebäuden. Das ist der Kindergarten, den wir besuchen wollen! Dann sind wir also tatsächlich schon im Camp – irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt, wenn ich auch nicht wirklich weiß, wie. Wir steigen aus den Fahrzeugen aus, und aus jedem Gebäude hört man laut Kinder singen oder etwas aufsagen. Was heißt Gebäude, es ist ein Stahlrohr- oder Baumstammgerüst, umkleidet mit aus Zuckerrohr geflochtenen Matten und gedeckt mit einer großen blauen Plastikplane.
Wir schauen in jede der Klassen hinein. Drinnen sitzen die Kinder, zum Großteil in abgewetzten braunen Schuluniformen, auf Matten auf dem Steinboden. Oder sie stehen, und gucken mich aus großen Augen an. Die Klasse mit den Kleinsten hat am Morgen ein Bild gemalt. Schüchtern, stolz, mutig, verschämt zeigen sie mir die Bilder. Selten mal ein fröhliches Gesicht. Ich schaue die Bilder in allen Reihen an und will schon wieder rausgehen, da kommt ein kleiner Junge nach vorne gelaufen. Ismed, er möchte so gerne meine Hand halten. Und natürlich am allerliebsten auf ein Foto! Nichts lieber als das, kleiner Junge.



Beim Gang übers Gelände fällt der kleine Spielplatz auf. Absolut unerwartet an diesem Ort: Es gibt eine Seilbahn! Die Kinder kommen angelaufen, wollen mir die Seilbahn in Aktion zeigen. Na, nichts wie los! Jetzt gibt es auf einmal Gelächter, strahlende Augen, fröhliche Gesichter. Natürlich will ich auch einmal fahren – mir macht es Spaß, und die Kinder begeistert es. Ich halte und drücke Dutzende von Kinderhänden. Und hoffentlich bleibt nicht nur mir, sondern auch ihnen ein klein wenig Freude für den Nachhauseweg.



Manicure: Kinderhände fassen
Helmet: Fünf Minuten ausgelassene Fröhlichkeit

Sonntag, 31. Januar 2010

Büro, Büro

Sonntag Morgen, die neue Arbeitswoche beginnt. Nach einem Instant-Kaffee (puh... suche noch nach echtem Kaffee) marschiere ich in langen Klamotten und unter einem Kopftuch versteckt die drei Minuten zu unserem Büro, gemeinsam mit einer kenianischen Expat-Kollegin. Alleine gehen ist aus Sicherheitsgründen nicht erwünscht – noch besser wäre es per Auto, aber darauf habe ich nun wirklich keine Lust. Die Leute, die wir unterwegs sehen, machen auch erstmal keinen allzu gefährlichen Eindruck. Ist ja auch schon am frühen Morgen zu heiß für Stress.
Die ersten zwei Stunden im Nyala-Office (war bisher an Arbeitstagen nur in Kass) verbringe ich mit DSL-Stick beantragen, über Kabel stolpern, Kollegen kennen lernen (Namen sind furchtbar kompliziert und gleichzeitig einfach: mit Mohammed, Achmed oder Yusuf liegt man nie falsch, das hat fast jeder irgendwo im Namen), die Klimaanlage in Gang bringen (erfolglos – statt dessen rattert dann ein Deckenventilator mit Rasenmäher-Lautstärke), meinen Computer aufpeppen, und schließlich auch einer nach meinem Verständnis wenigstens halbwegs produktiven Arbeit, die ich aus Daimler-Zeiten kenne (wenn auch nicht sonderlich schätze): Budgets erstellen, diskutieren, überarbeiten und erklären. Nicht mal die Budgetlinien unterscheiden sich: Personal, Reisekosten, Büromaterial, Marketing. Einen Generator hatte ich bei Daimler zwar nicht auf der Kostenstelle, genauso wenig wie Inlands-Reisegenehmigungen der lokalen Behörden, ohne die man keinen Fuß aus der Stadt setzen darf.
Um ein wenig Prosa-Ausgleich zu bekommen, schreibe ich meine kleine Geschichte für einen Geldgeber zu Ende und starte die Planungen für eine Eröffnungsfeier der neuen Gebäudeteile in der Kass-Klinik. Das ist doch schon eher mein Terrain! Frage mich nur, wo ich hier eine Event-Agentur herbekommen soll... wo es schon keine Hotline für Computerprobleme gibt ;-) Eine Idee für ein Event-Highlight habe ich schon: Ein Eselrennen!

Manicure: Lächeln und Lachen mit den sudanesischen Kollegen
Helmet: im 2-er Pack und mit Walkie-Talkie ins Büro laufen





Humedica-Büro mit den Keine-Waffen-Fahrzeugen

Dienstag, 26. Januar 2010

Fashion Week Darfur II: Frau trägt Tuch

Wenn ich gestern noch dachte, ein Kopftuch entspricht dem hiesigen Fashion-Style und damit bin ich gut gerüstet, wurde ich heute eines besseren belehrt: Mindestens 5 Meter Stoff müssen es sein, rangeknotet und rumgeschlungen, über Kopf, Schultern, und alles was einem noch so dazwischen kommt. Auf dem Laufsteg ein Horror, man hat keine Beinfreiheit, und das rutscht und fällt ohne Unterlass. Außerdem sehe ich damit – im Gegenzug zu den sudanesichen Damen – nicht angezogen, sondern einfach nur eingewickelt aus. Aber tamam, tamam (gut, gut), alle haben sich riesig gefreut und uns lautstark und immer wieder verkündet, dass wir nun doch endlich gut aussehen!





Anlass für das Aufhübschen war eine Feier, die das Krankenhaus-Personal zum Abschied von Janika ausgerichtet hat. Stunden über Stunden Reden, sudanesische Musik und Tanzen und irgendwann endlich auch wirklich leckeres Essen - mit den Fingern, alle aus derselben Schüssel, und viel viel Fleisch.
Als besonderes Highlight haben die Kollegen Janika dann noch einen Wunsch erfüllt, der ihnen völlig absurd vorgekommen sein muss: ein Eselrennen! Das hat Kass noch nicht gesehen! Mit internationaler Besetzung: Janika gegen einen kenianischen Kollegen, dann ich gegen einen sudanesischen Arzt – und ich habe glatt gewonnen!
Für die Ralley die Dorfstraße runter und wieder zurück durften wir glücklicherweise kurzzeitig wieder in unsere Hosen steigen...



Manicure: Sudanesische Wickel
Helmet: dito

Montag, 25. Januar 2010

Fashion Week Darfur: Minnie Mouse trägt Gelb




Auf dem Rollfeld des Nyala Airport bläst ein wilder Wind, der mir ständig das Tuch vom Kopf weht. Dabei hat der Pilot noch nicht mal die Rotoren des Hubschraubers gestartet! Keine Chance: Mein guter Wille, Kopftuch zu tragen ist erstmal dahin. Wir identifizieren noch einmal unser Gepäck, und dann klettern wir in den Hubschrauber des WFP, der uns nach Kass bringen soll.
Eine halbe Stunde dauert der Flug, ich trage schicke gelbe Kopfhörer gegen den Rotoren-Lärm und gucke aus dem Fenster. Wüste, soweit das Auge reicht. Plattes Land, rötlicher Sand, ab und zu ein ausgetrocknetes Wadi, an dem sich Büsche entlangschlängeln. Richtung Kass, das 80 km nordwestlich von Nyala liegt, ragen Berge aus dem Boden. Genauso kahl, steinig und staubig – dahingeworfen wie von einem Kind beim Spielen im Sandkasten. Ab und zu sieht man eine Ansammlung von Hütten. Rund, mit einem Strohdach, und immer umzäunt. Wahrscheinlich als Schutz, nicht zuletzt für die Frauen, die nicht von anderen Männern als den eigenen gesehen werden sollen. Was ich von hier oben nicht sehe, mir aber vorstelle: Auch vor diesen Hütten stehen Tonkrüge, die mit Wasser gefüllt sind. Der Hausherr ist ein guter Gastgeber und Moslem, der den Vorbeikommenden einen Becher Wasser als freundliche Gabe bereit stellt.

In Kass treffe ich Janika, ein herzliches und richtig schönes Wiedersehen! Wir kennen uns vom humedica-Koordinatorentraining, sie ist als Project Coordinator in Kass. Gerade wurde hier der Anbau für die Geburtsstation der humedica-Klinik abgeschlossen. Wir diskutieren, wieviele Hebammen für den 24h-Service eingestellt werden sollen (erinnert an die Kapazitätenplanung im 1. Semester BWL) und besprechen, was wie wo noch einzuräumen und fertig zu stellen ist. Jetzt fahre ich gleich mal rüber, und schaue, ob die Böden so von Farbklecksen und Baudreck gesäubert wurden, wie sich das Deutsche für neue Räume vorstellen... ;-)

Manicure: Schnack mit Janika
Helmet: Gelbe Mickey Maus-Ohren

Samstag, 23. Januar 2010

A manicure and a cute helmet – los geht’s

Heute ist Samstag, der zweite (und letzte) Tag des Wochenendes im muslimischen Sudan. Ich sitze im humedica-Gästehaus in Nyala/Süddarfur, das die nächsten zwei Monate mein Zuhause sein wird. Unter den großen, Schatten spendenden Bäumen im Innenhof stehen bequeme Sessel – der ideale Ort, um meinen Blog zu beginnen.

Warum „a manicure and a cute helmet“?
Ich bin ein glücklicher Mensch. Ja, das Leben ist manchmal hart, aber man kann es sich ja nett machen. Alleine oder mit den wunderbaren Menschen, die man so kennt. Oder indem man einfach auf die vielen schönen kleinen Dinge achtet, die einem passieren – „manicures“. Und ich finde, jeder sollte ein bisschen auf sich und seine Seele aufpassen, sich selbst und manche Dinge nicht so wichtig nehmen, nicht immer alles und jeden zu nah heran lassen – „a helmet“. Da ich ein Mädchen bin, muss der Helm eben „cute“ sein. Und da diese beiden Dinge im Krisengebiet Süddarfur, wo ich diesen Blog zunächst schreibe, ziemlich (überlebens-) notwendig sind, ist "A manicure and a cute helmet" eben der Blogtitel geworden.

Was tue ich hier eigentlich? Ich bin mit humedica hier, einer Hilfsorganisation, die auf Katastropheneinsätze und Projekte in Krisengebieten spezialisiert ist (www.humedica.org). Es ist mein zweiter Einsatz als Koordinatorin im Ausland, September-Dezember 2008 war ich nach den Hurricanes und Überschwemmungen in Haiti. Humedica ist seit 2004 hier in Nyala/Süddarfur, hat geholfen, Camps aufzubauen und die medizinische Hilfe für die Flüchtlinge aus dem Süden zu koordinieren. Die Arbeit für Hilfsorganisationen ist aus verschiedenen Gründen - dazu gehört auch die Sicherheit - nicht einfach. Ich werde mich deswegen darauf beschränken, persönliche Geschichten zu erzählen. Ab morgen – oder übermorgen! Denn jetzt will ich noch die Security Guidelines lesen und dann ab ins Bett. Morgen früh fliege ich mit dem Helikopter (Straße ist zu gefährlich) ins 80 km entfernte Kass, dem zweiten Standort von humedica in Süddarfur.

Manicure: Süßer Schwarztee mit frischer Minze
(not so cute) Helmet: Stacheldrahtrolle über der Mauer des Wohnhauses (gegen unerwünschte Eindringlinge), Pif-Paf (Spray gegen unerwünschte Kakerlaken)